Markus Baumgartner

Der katholische Nobelpreisträger vom Fjord

Der diesjährige Nobelpreisträger für Literatur heisst Jon Fosse. Der 64-jährige ist einer der meistgespielten Theater-Autoren weltweit. Es ist eine unzeitgemässe Entscheidung, Jon Fosse den Literaturnobelpreis zu verleihen. Er ist das Gegenteil der polarisierten, lauten Gegenwart. Jon Fosse steht für eine Literatur, die sich noch ums grosse Ganze des Menschseins kümmert und den christlichen Glauben hochhält. Schreiben ist für ihn wie Beten. 

Wer wissen will, wer Jon Fosse ist, kann Karl Ove Knausgård lesen. Der für seine voluminösen Wälzer bekannte norwegische Bestsellerautor zeichnet in «Träumen», dem fünften Band des autobiografischen Romanprojekts «Min Kamp», ein angedeutetes Porträt seines Lehrers Jon Fosse an der Schreibakademie: «Zögernd, voller Pausen, Einschnitte, Räuspern, Schnauben und mitunter von einem plötzlichen, tiefen Atemholen unterbrochen», beschreibt Knausgård den damals 28-jährigen Fosse. Trotz dieses scheinbar verhaltenen Auftretens: Selbstsicher soll er schon damals gewesen sein. Doch erst das Schreiben, sagte Fosse mehrfach in Interviews, habe ihn zu dem gemacht, was er heute ist: ein religiöser Mensch, was diesfalls kein privater, sondern ein für das Verständnis seiner Theaterstücke und Prosa wesentlicher Hinweis ist. 

Als Jugendlicher schrieb und malte Jon Fosse und er spielte auch Gitarre. Schliesslich blieb er beim Schreiben, das er mit zwölf Jahren begann. Mit 19 gewann er einen Schreibwettbewerb. 1983 erschien sein erster Roman «Raudt, svart» (Rot, schwarz). Es folgten weitere Romane, Gedichte, Essays und Kinderbücher. 1994 wurde erstmals ein Theaterstück von ihm aufgeführt. Bis heute schrieb Jon Fosse mehr als 30 Dramen und Opernlibretti, die in über 50 Sprachen übersetzt wurden und weltweit über 1000 Mal gespielt wurden. 

Vom Pietisten zum Katholiken

Gegen den Strom und den Zeitgeist, so könnte man den Nobelpreisträger charakterisieren. Jon Fosse wächst in einem bäuerlichen und pietistischen Milieu in der norwegischen Provinz als «kleiner Leute Kind» auf. Er verbringt viel Zeit an einem Fjord an der Westküste Norwegens und im Boot. Er schreibt bis heute immer nur in der Nähe einer Küste. Jon Fosse wird in einem liberalen, kirchenfernen Umfeld gross. Kein Wunder, ist er schon als Teenager aus der lutherischen Staatskirche Norwegens ausgetreten. Doch ist er später bei den Quäkern gelandet und wurde Mitte 20 zum Gläubigen im christlichen Sinn: «Es hatte mit dem Mysterium des Schreibens zu tun. Ich wusste nicht, woher meine Einfälle kamen. Ich musste eine Erklärung finden. Da musste etwas da draussen sein, das mit meiner Art zu schreiben in Beziehung stand. So begann ich, über Gott nachzudenken. Ich besuchte Messen, las theologische Schriften», erklärte er in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Was ihn bei den Quäkern beeindruckte: «Keine Priester, keine Sakramente, keine Liturgie, kein Dogma. Nur diese Treffen, in denen viel geschwiegen wird. Nur wer den anderen etwas wirklich Wichtiges mitzuteilen hat, spricht. Nur wer inspiriert ist, spricht. Die Überzeugung, dass jedem von uns etwas Göttliches innewohnt. Das alles gefiel mir. Es gefällt mir bis heute.» In Norwegen gibt es nur etwa 100 Quäker. Jon Fosse kennt jeden von ihnen.

«Mit Jesus Christus verbinden»

Doch der Protestantismus wollte gemäss Jon Fosse die Mystik und die Poesie aus der Kirche und Glauben verschwinden lassen. Vor gut zehn Jahren wechselte Fosse darum zum Katholizismus, wie er in seinem Bekenntnisbuch «Das Geheimnis des Glaubens» darlegte. Dazu sagt er: «Ich wollte mich mit einer grösseren Glaubensgemeinschaft verbinden. Ich wollte einer unter vielen sein. Der katholischen Kirche ist in den vergangenen 2000 Jahren etwas höchst Erstaunliches gelungen. Sie hat das Mysterium des Glaubens durch die Zeit gerettet.» Und weiter: «Ich hatte früh einen Bezug zur Spiritualität, zu Gott. Doch ich hatte keinen Bezug zu Jesus Christus. Und um ein wahrer Christ zu werden, muss man sich mit Jesus Christus verbinden. Über die Eucharistie gelingt es mir, diese Beziehung herzustellen. Während der Kommunion fühlte ich eine ungeheure Präsenz von etwas. Etwas, das über mir stand. Diese Präsenz fühle ich bis heute, wenn ich einen Gottesdienst besuche und den Leib Christi empfange.» 

Liebe, Einsamkeit und Tod

Immer wieder besucht Fosse in Oslo sowie in seiner Wahlheimat Hainburg katholische Gottesdienste. Auch JonFosses Werk dreht sich um Themen, die man – unter anderem – als religiöse Auseinandersetzungen bezeichnen könnte. Oft geht es darin um Liebe und Einsamkeit, um den Tod und was danach kommt. Um Glaube und um Hoffnungslosigkeit. Schreiben ist für Jon Fosse «ein Mysterium, eine Transzendierung meiner selbst und der materiellen Welt». Es ist ein Geschenk, womöglich des Heiligen Geistes. Das Schreiben habe ihn zu einem religiösen Menschen gemacht, sagte er in einem Interview im Deutschlandfunk Kultur. Jon Fosse gilt als sperriger Autor, seine Texte sind bisweilen schwer zugänglich. Sie sind Rezitation, beinahe Gebet, auf jeden Fall eine Art Meditation. Jon Fosse gibt, so die Begründung der Schwedischen Akademie, mit seiner Prosa und seinen innovativen Theaterstücken «dem Unsagbaren eine Stimme». Er selbst zeigte sich in einer ersten Reaktion «überwältigt und ein bisschen verängstigt in Anbetracht der nun auf ihn zukommenden Aufmerksamkeit.»

Bild Screenshot Deutsche Welle dw.com
10. Oktober 2023 | 06:11
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 3 Min.
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