Karin Reinmüller

Der gewöhnliche Tod Jesu

Wer diesen Beitrag lieber hören möchte – bitte sehr!

(Der folgende Text ist als Impuls für «meine» Pfarrei St. Benignus in Pfäffikon ZH entstanden.)

Palmsonntag ist der Tag, an dem, mit der Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem, die «Heilige Woche» (so sagt man in vielen Sprachen), die Karwoche, beginnt. Eine intensive Woche, mit der Erinnerung an Abendmahl und Fusswaschung am Gründonnerstag, an die Kreuzigung an Karfreitag – und am Sonntag Ostern. Ich möchte die spezielle Situation dieses Jahr nutzen, um etwas über einen der Lesungstexte vom Palmsonntag zu schreiben, er steht im Philipperbrief (Kap. 2, V. 6-8):


Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.


Dass Jesus einer von uns Menschen geworden ist, feiern wir an Weihnachten. In der Karwoche, dachte ich jedenfalls bis jetzt immer, vielleicht Sie auch, geht es darum, dass Jesus, als Unschuldiger hingerichtet, ein besonders schweres Schicksal hatte.


Dieses Jahr klingt dieses alte Gedicht, das die frühen ChristInnen wohl gemeinsam gebetet haben, der Philipperhymnus, anders für mich: Ich stelle mir diese Menschen vor, einige davon Sklavinnen, andere Tagelöhner, einige Handwerker, wenig Bessergestellte. Alle lebten unter einer oft grausamen und willkürlichen Besatzung durch die Römer. Es ist realistisch, anzunehmen, dass die meisten von ihnen lebensbedrohliche Krisen aus eigener Erfahrung kannten. Dass eine Seuche im Nachbarort umging, dass ein Verwandter wegen Unruhestiftung oder Ehebruch hingerichtet wurde – das war für diese Menschen sicher nicht Alltag, aber ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens.


Und deshalb haben sie gedichtet, «Christus Jesus führte das Leben eines Menschen, bis zum Tod am Kreuz». Nicht, weil sein Tod etwas Aussergewöhnliches war – sondern weil er zu oft das Ende eines gewöhnlichen Menschenlebens bildete.


Und das heisst etwas für heute. Ich gehe dieses Jahr in eine aussergewöhnliche Karwoche, ohne öffentliche Gottesdienste, dafür mit reichlich existenzieller Krisenerfahrung. Und ich höre neu, dass Gott sich dafür entschieden hat, unser Leben zu teilen. Nicht nur an Weihnachten, sondern auch in Situationen, die sich nicht kontrollieren lassen, die vielleicht unendlich schwierig sind, die mich an Grenzen bringen, und manchmal darüber hinaus. Das alles ist Mensch-Sein. Wir haben es nur in den letzten Jahrzehnten nicht so deutlich gemerkt, wenn wir nicht gerade persönliche Katastrophen erleben mussten – im Unterschied zu unseren Glaubensgeschwistern vor langer Zeit, die den Philipperhymnus gedichtet haben.


In dieser Woche gibt es immer wieder Gelegenheiten dazu, die letzten Tage Jesu präsent werden zu lassen. Wenn Sie mögen, lesen Sie heute einmal das Evangelium vom Einzug in Jerusalem (Matthäus, Kap. 21), stellen Sie sich die Szene vor und schauen mal, wo Sie sich selbst wieder finden. Und dann können Sie beten – Jesus sagen, was Sie gerade umtreibt, im Wissen, dass er so ein Leben gewählt hat.

Bild: Karin Reinmüller
4. April 2020 | 09:42
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 2 Min.
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2 Gedanken zu „Der gewöhnliche Tod Jesu

  • stadler karl sagt:

    Vielleicht lese ich solche Schrift-Szenen missverständlich, einfach völlig falsch. Aber ich bekunde grosse Mühe mit solchen Schriftstellen. Gerade das Kapitel 21 von Matthäus ist, meiner persönlichen Ansicht nach, alles andere als eine erbauliche Stelle. Denn sie kann sehr wohl so empfunden, ja interpretiert werden, dass hier eine subtile Selbstgerechtigkeit dieses Predigers an die Oberfläche dringt, die zu irritieren vermag. Wenn man sich vor Augen hält, wie die damaligen jüdischen Autoritäten sich politisch immer auf einer Gratwanderungen befanden, um ein instabiles politisches Gleichgewicht zwischen der übermächtigen militärischen Besatzungsmacht Roms und dem Judentum einigermasen zu wahren, um einen unkontrollierten Gewaltausbruch zu vermeiden, dann ist es mehr als verständlich, dass die jüdischen Autoritäten solche Prediger, die selber keine politische Verantwortung trugen und die leicht als Unruhestifter wirken konnten, überhaupt nicht schätzten, ja vielmehr fürchteten. Und gerade diese Bibelstelle, diese Gleichnisse, zeigt ja auch, dass die jüdischen Autoritäten offenbar berechtigte Angst vor Gewaltausbrüchen hatten. Gut dreissig Jahre später kam dann tatsächlich dieses labile Gleichgewicht zu Fall, riesige Massaker brachen über die Juden herein, der zweite Tempel wurde zerstört und der leidensvolle Weg der Juden in der Diaspora nahm seinen Anfang.
    Und auch in dieser Schriftstelle wird beispielsweise die damalige Bewegung der Pharisäer einmal mehr in ein eher schlechtes Licht gerückt. Das wirkte ja im späteren Christentum nach bis in die heutige Zeit, ein Bild, das auch heute noch ab und zu von theologischen Publizisten auch auf kath.ch in dieser negativen Färbung verwendet wird. Wenn man jedoch anderseits das Büchlein “Die Pharisäer. Ein Kapitel jüdischer Geschichte” (Schocken Verlag, Berlin 1934) liest, welches vom jüdischen Gelehrten Leo Baeck verfasst wurde, dann präsentiert sich ein viel differenzierteres Bild von dieser religiösen Strömung innerhalb des Judentums, als es gemeinhin in neutestamentlichen Schriftstellen aufscheint.
    Es ist schon möglich, dass eine solche Leseart dieses Matthäus-Kapitels falsch ist. Aber es kommt einem ein wenig unheimlich vor, auch wenn das Bild vom sympahtischen Mann auf dem Esel, dem Menschen entlang des Weges mit Palmzweigen zujubeln, angenehme Erinnerungen an Ideale aus früher Jugendzeit wachhalten.

  • Karin Reinmüller sagt:

    Vielen Dank für Ihren Kommentar – wenn ich mal über Matthäus 21 blogge (und nicht, wie hier, über den Philipper 2) kann ich gern auch darüber nachdenken!

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