Gian Rudin

Bleibende Gegenwart

Die Eucharistie: Mysterium tremendum et fascinosum

Wenn Paulus in seinem Schreiben an die Gemeinde von Korinth bemängelt, dass Zanksucht und Überheblichkeit anstatt Einmütigkeit herrschen, sobald die Gemeindeglieder ihre mitgebrachten Speisen auspacken und sich an edlen Flüssigkeiten berauschen und dadurch ein soziales Gefälle sichtbar wird, dann liesse sich vielleicht Ähnliches in unserer Zeit beobachten. Ob sich nun jemand über den aggressiven Rotton im Jupe der Kirchenbanknachbarin erhitzt oder sich fragt, von welcher Erbschaft denn der brandneue Audi auf dem Kirchenhofparkplatz wohl stammen möge: Soziale Harmonie wird immer wieder durch Missgunst und Kleinlichkeiten bedroht. Im Laufe der Zeit kam es kirchengeschichtlich zu einer Trennung des profanen Sättigungsmahls von der eucharistischen Kulthandlung und das Zelebrieren des Gottesdienstes in Privathäusern wurde verboten. Leitend hierbei war nicht nur das oben formulierte paulinische Bedenken, sondern auch eine zunehmende Sakralisierung des christlichen Gottesdienstes. Wenn früher die eucharistischen Gaben noch von den Glaubenden bereitgestellt wurden, so war diese Praxis ungefähr seit der konstantinischen Wende untersagt. Aspekte der Reinheit des zu konsekrierenden Brotes und der möglichst sorgsamen Zubereitung rückten in den Vordergrund. Auf einem Reichskonzil von Toldeo 693 wurden akribische Vorschriften betreffend der genauen Form und Materie der eucharistischen Gestalten verlautbart. Auch der Umgang mit den eucharistischen Gaben wurde penibel geregelt. Wenn der konsekrierte Wein versehentlich verschüttet wurde, so galt es den Boden zu reinigen und den benutzen Lappen zu verbrennen. Die Asche des Putzutensils sollte mit einer Beerdigung gewürdigt werden. Vom benediktinischen Reformkloster in Cluny aus, verbreitete sich die Hostienform in der ganzen Westkirche. Die dort verwendeten Hostienprägeeisen verzierten die Oblate mit kunstvollen, reliefartigen Bildprogrammen und trugen so zu Hochachtung gegenüber der Materie des Himmelbrotes bei. Auch wurde die Gottesdienstfeier mehr und mehr als Inszenierung und Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte verstanden. Die im Priester manifest werdende Aktualpräsenz Christi ermöglicht dessen Realpräsenz unter den Gestalten von Brot und Wein. Die unter dem Stichwort Klerikalisierung subsumierte Entwicklungsgeschichte des römischen Messritus ist eine ambivalente Angelegenheit. Einerseits wurde das Verständnis für das wunderbare Geheimnis der Anwesenheit Christi geschärft und eine Sensibilität für die Souveränität des Heiligen kultiviert. Jedoch hatte die Entwicklung auch Schattenseiten und trieb seltsame Blüten. Hostien wurden an Tiere verfüttert, um diese vor Krankheiten zu bewahren. Oder in zahlreichen Hostienfrevlerprozessen bezichtige man Juden, Christus durch die Schändung einer Hostie erneut zu töten. Die Ehrfurcht vor dem Allerheiligen war auch gepaart mit einer Angst vor der scheinbar unüberbrückbaren Erhabenheit des eucharistischen Jesus. Das Trinken des Ablutionsweines, also jenes Tropfens, mit welchem der Kelch purifiziert wird, war eine geläufige Sitte, um die Wucht des Heiligen abzumildern. Dies führte zu einem Rückgang der Kommunionshäufigkeit und einer sich zeitgleich etablierenden Schaufrömmigkeit. Es entwickelte sich ein regelrechter Elevationstourismus. Hatte der Priester in einer Messfeier nach den Wandlungsworten die Hostie erhoben und konnte das Heil vom Kirchenvolk beschaut werden, pilgerten einige Gläubige zur nächsten Kirche, wo gerade noch die Predigt andauerte, um wiederum dem durch den Klang der Altarglocken untermalten, entscheidenden Moment beizuwohnen. In diesem Zusammenhang entstand in der mittelalterlichen Kirche langsam das Fronleichnamsfest und die damit verbundenen Prozessionen.

Luther und die Allgegenwart Gottes

Für Martin Luther war das Fronleichnamsfest eine unerträgliche Zurschaustellung katholischer Prunksucht. Die Fetischisierung der Hostie und ein damit verbundenes magisches Denken waren ihm ein gottloses Greul. Nicht, dass der Augustinermönch an der reale Anwesenheit Jesu inmitten von Brot und Wein gezweifelt hätte. Die spiritualistische Fehlinterpretation seines reformatorischen Gesinnungsgenossen Zwingli sorgte während des Marburger Religionsgespräches für einen Eklat und verhinderte eine protestantische Allianzbildung. Wie aus einem Augenzeugenbericht von Johann Hachenburg hervorgeht, reagierte Luther auf das Verschütten des Messweins ganz traditionskonform: Er leckte den Wein vom Mantel der Dame, schnitt den zurückgebliebenen Flecken von demselben heraus und hobelte die betroffene Stelle von der Kniebank ab. Ganz den mittelalterlichen Vorgaben gemäss verbrannte er die mit dem Blut Christi in Berührung gekommene Materie. Aber Luther war auch ein querulatorischer Freigeist. Die scholastische Lehre der Transsubstantiation lehnte er ab und entwickelte unter Einbezug seiner eigenen Christologie die sogenannte Konsubstantiationslehre weiter. Im Gottmenschen Jesus Christus ereignet sich ein Übertrag der göttlichen Eigenschaften auf die menschliche Natur, sodass dem menschlichen Leib Jesu Christi göttliche Allgegenwart bescheinigt werden kann. Sein Verständnis der Himmelfahrt Christi setzt ebenfalls hier an. Gegen die naive Vorstellung eines Hinaufgleitens Christi in die oberen Himmelssphären und damit eines räumlichen Standortwechsels, setzt er die These der möglichen Allgegenwart des Gottessohnes. Seine Erhöhung zur Rechten des Vaters ist keine Ortsangabe, sondern beschreibt die unvergleichliche Macht Gottes, welche den ganzen Kosmos durchwaltet. Gegen den von den Schwärmern postulierten «gauckel hymel» ist für ihn die Majestät Gottes überall in der Welt wirksam. Und wenn nun Christus gleichsam ebenfalls an dieser göttlichen Natur teilhat, so vermag auch er es überall zu sein, ohne jedoch von einem Ort vereinnahmt zu werden. Das ist dann auch der Sinn der Konsubstatiationslehre: Christus tritt in seiner göttlichen Autorität zu den Elementen von Brot und Wein hinzu, ohne diese jedoch in deren Wesen zu tangieren, geschweige denn zu verändern. Der zum Himmel erhöhte stattet den Menschen einen Besuch ab, gesellt sich zur Brotgestalt, um so für die Menschen gegenwärtig zu sein. Irgendwann stellte sich die Frage, wie lange denn Jesus eigentlich zugegen sei und zu welchem Zeitpunkt er sich wieder von der Hostie verabschiede. Für Luther war klar, dass sich Christus für die Dauer der Abendmahlsfeier gegenwärtig war und sich dann verdünnisierte. Die Debatte über den genauen Zeitpunkt des Downgradings vom Herrenleib zum normalen Brotscheibchen wurde in lutherischen Kreisen hartnäckig geführt. Für Luther war jedoch klar, dass eine Verehrung der eucharistischen Gaben ausserhalb der Gemeindefeier ein Unding sei. Die Frage nach der Verehrungswürdigkeit der eucharistischen Gaben blieb über die Jahrhunderte ein Zankapfel zwischen den Konfessionen. Dies zeigt beispielsweise der im Bayern der 1840-er Jahren erbittert ausgetragene Kniebeugenstreit: Mussten auch protestantische Soldaten im Zuge der Fronleichnamsfeierlichkeiten im Heer die Knie beim Vorüberziehen der Hostie beugen?  Das bayrische Kriegsministerium bejahte dies per Erlass und löste so eine medial und politisch ausgefochtene Kontroverse aus. Die Realpräsenz sorgt im ökumenischen Gespräch immer wieder für Zündstoff, dass zeigen auch die jüngeren Diskussionen um die eucharistische Mahlgemeinschaft konfessionsverschiedener Ehen.

Präsenz, immerdar

Doch sollte man sich als katholischer Christ heutzutage noch mit derartig eitlem Theologengeschwätz befassen. Ich meinerseits meine ja, unbedingt! Denn hier wird ein Spezifikum katholischer Frömmigkeit berührt.  Wenn die dem Tabernakel zugedachte Kniebeuge zur blossen Formalität verkommt, dann droht der Glaube zu verrohen. Nach dem von Thomas von Aquin herrührenden Transsubstantiations-Dogma wird die Materie auf wundersame Weise gewandelt und geht der dadurch erlangten Erhabenheit nicht mehr verlustig. Die Materie, dies lässt sich von Gottes guter Schöpfung im Allgemeinen sagen, wird hier zum Ausdrucksmittel für etwas Überweltliches. Diese Zeichenhaftigkeit des Geschaffenen als Verweis auf die Güte Gottes, die Durchlässigkeit des Kreatürlichen für die Liebe des Schöpfers, ist Grundlage des Sakraments. Der gesamte Kosmos und die darin entfaltete Materie kann im Sinne einer Stufenfolge betrachtet werden. Vom Bereich des Subatomaren bis hin zum Brot des Lebens ist die Materie ein Liebesbrief Gottes an die Menschen. In den eucharistischen Gaben vollzieht sich die höchstmögliche Intensität der gott-menschlichen Kommunikation und es ereignet sich ein Lebensaustausch zwischen göttlichem Geist und weltlichen Stoff. Wie der verstorbene Münchner Kardinal Leo Scheffczyk schreibt:

«taucht das Mysterium der Eucharistie den materiellen Kosmos in ein geheimnisvolles Zukunftslicht, in dem die himmlischen Dimensionen des materiellen Seins erahnbar werden.«

Diese Form einer diesseitsbezogenen Spiritualität, welche aber ihren Fokus auf das Jenseitig-Göttliche nicht aus den Augen verliert, ist ein gutes Heilmittel gegen die Gefährdungen einer Vergöttlichung der Erde und einen leibfeindlichen Dualismus.

Auch an den in der Wüsteneinsamkeit verfassten Notizen  Charles de Foucauld lässt sich der spirituelle Mehrwert einer eucharistisch geprägten Frömmigkeit ablesen. Nach seiner Glaubenswende lässt sich der Franzose, welchem eine militärische Karriere gewunken hätte, im marokkanisch-algerischen Grenzgebiet, um unter den Tuareg zu leben. Die Einfachheit und Religiosität der nordafrikanischen Menschen hat ihn bei seinem ersten Aufenthalt in der Region als Kavallerist bereits fasziniert und seine erneute Hinwendung zur Religion inspiriert. Nach einem Zwischenhalt in Nazareth zur Vertiefung der arabischen Sprache siedelt er endgültig nach Nordafrika über und erleidet dort den Tod in Geiselhaft. In seinen Tagebuchnotizen ist zu lesen, dass ihm die morgendlichen Stunden vor dem Allerheiligsten, versunken in die freundschaftliche Verbundenheit mit seinem Bruder Christus, zum wertvollsten gehörten, was er in der Ödnis besass. Die erhofften Glaubensgeschwister zum Aufbau einer Gemeinschaft waren ausgeblieben, so lebte er allein unter den Tuareg. Auf ihn geht auch ein noch heute zum philologischen Standard gehörendes Wörterbuch der Sprache dieses in der Sahara lebenden Berbervolkes zurück. In Kontext kolonialer Überlegenheit begab er sich auf den letzten Platz und versuchte den Tuareg auf Augenhöhe zu begegnen. Wie aus seinen Schriften hervorgeht beruht seine Haltung auf der Schlichtheit seiner eucharistischen Spiritualität. Das Tabernakel und die von ihm ausgehende Präsenz des fusswaschenden Gottes bestärkt ihn im Dienst an den Notleidenden. Indem er die durch die Gabe Gottes empfangende Liebe weiterschenkt, wird er zum Sinnbild des eucharistischen Menschen. Und die Nahrung dieses Menschen ist nicht einen abstrakte Christus-Idee oder dessen edle moralische Lehre, sondern sein Fleisch, dass er gibt und geben wird für das Leben der Welt. Im Glaubensgeheimnis der wesensverwandelten Gaben bleibt Christus seiner Verheissung gemäss bei uns, bis ans Ende der Tage. Und weil der Mensch ein Sinneswesen ist, ist seine Gegenwart auch sinnlich fassbar.

Bildquellen

  • IMG_5089: © Gian Rudin
Kirche Günsberg
16. Juni 2020 | 23:20
von Gian Rudin
Lesezeit: ca. 6 Min.
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