Heinz Angehrn

Beurteilungen Teil II

CNA zitierte so aus der Begegnung von Papst Franziskus mit seinen Ordensbrüdern in Budapest:

Die Aussagen des Papstes zur Feier der lateinischen Messe gegenüber seinen Jesuitenbrüdern wurde durch eine Frage nach der Versöhnung der Kirche mit der modernen Welt ausgelöst, wie sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil diskutiert wurde. Dabei wurde klar, dass Franziskus die Feier der «alten Messe» mit Widerstand gegen das Zweite Vatikanische Konzil gleichsetzt — der Papst sagte wörtlich: «Ich weiß nicht, wie ich diese Frage theoretisch beantworten soll, aber ich weiß, dass das Konzil immer noch in Kraft ist. Man sagt, dass es ein Jahrhundert dauert, um ein Konzil zu assimilieren». «Und», fügte er hinzu, «ich weiß, dass der Widerstand gegen seine Dekrete schrecklich ist. Es gibt eine unglaubliche Unterstützung für die Restauration, für das, was ich ‘indietrismo’ (»Rückständigkeit, Rückwärtsgewandtheit») nenne, wie es im Brief an die Hebräer (10,39) heißt: ‘Wir aber gehören nicht zu denen, die zurückweichen'». Franziskus gab weiter zu Protokoll: «Der Fluss der Geschichte und der Gnade fließt von den Wurzeln nach oben, wie der Saft eines Baumes, der Früchte trägt. Aber ohne diesen Fluss bleibt man eine Mumie», sagte er. «Rückschritt bewahrt das Leben nicht, niemals.» «Vinzenz von Lérins schrieb in seinem Commonitorium, dass auch das Dogma der christlichen Religion fortschreitet, sich mit den Jahren festigt, sich mit der Zeit entwickelt und mit dem Alter vertieft», sagte der Pontifex seinen Ordensbrüdern.

Eine «nostalgische Krankheit» nennt Franziskus also die Haltung, die inzwischen vom emeritierten Bischof Vitus in weiteren Pamphlet-Texten verdeutlicht wurde. Für Huonder und seine Genossen im Geiste muss es furchtbar klingen, wenn der Papst zitiert, dass auch das «Dogma der christlichen Religion fortschreitet … sich entwickelt … sich vertieft.» Denn all dies, das Fortschreiten, das Sich-Entwickeln, das Sich-Vertiefen ist für sie schon Abfall vom wahren Glauben.

(Zwischenfrage des Schreibenden: Wo/Wann beginnt denn für diese Leute der «wahre Glaube», wo/wann endet er? Manchmal denke ich, dass es für sie eben nur gerade die Zeit zwischen dem Tridentinum und dem Ersten Vaticanum ist. Aber fand nicht der wirkliche Sündenfall, der «Abfall» vom «wahren Glauben», wenn wir diese unsägliche Formulierung schon verwenden wollen, viel früher statt, geschätzt im 4./5.Jahrhundert. Oder sehe ich das falsch?)

Und nun zitieren wir mal weiter. Wer hat erst kürzlich Folgendes geschrieben:

Das II. Vatikanische Konzil war vor allem anderen eine Antwort auf diese zeitbedingt verständliche verengte Sicht von Kirchlichkeit: Kirche ist nicht nur ihre Hierarchie. Und ihr Leben sowie Wirken hängt nicht nur an der Hierarchie. Vielmehr nahm das Konzil den neuzeitlichen Gedanken des Vorrangs des Individuums auf und versuchte, dem Christen eine Spiritualität zu vermitteln, die ihn in der Gesellschaft der Freien und Gleichen selbst zum handelnden Subjekt machen sollte. Dies war die richtige Antwort darauf, dass die Gesellschaft nun nicht mehr ständisch geordnet war, sich also nicht mehr aus verschiedenen Schichten, Klassen und Korporationen zusammensetzte. Vielmehr hatte nun das Individuum, das sich immer freier in der Zivilgesellschaft bewegen konnte, den Vorrang. 

und:

Denn ohne dieses Konzil wäre die katholische Kirche eben jener ästhetisch kaschierten Versteinerung bedenklich nahegekommen, an der die Orthodoxie traditionell leidet. Darüber zu spekulieren, wie die Kirche ohne II. Vatikanum heute dastünde, ist müssig und dient nur der Polemik.

So schreibt Martin Grichting im VATICAN-Magazin. Natürlich schreibt er noch viel mehr, viel von ihm zu Erwartendes, aber auch unbedingt Wahres wie das Wort vom «sich beschleunigenden Niedergang» der katholischen Kirche. Es eilt: Grichting muss sich jetzt ganz dringend von Huonder und der Piusbruderschaft abgrenzen, wenn er noch einen spannenden Posten bekommen will! Und ich bin mir recht sicher, dass er den von Franziskus erwähnten «Rückschritt» auch nicht will. Vielleicht ist Martin Grichting der grössere Utopist, als wir denken.

Ich lasse diese Zitate mal stehen. Der Niedergang ist nicht aufzuhalten, zu viel Geschirr ist schon zerschlagen, hierarchisches Geschirr, persönliches, moralisches. Aber: «Wir weichen nicht zurück». Meine Beurteilung ist im Wesentlichen bekannt: Sekte oder Fortschreiten des «Dogmas der christlichen Religion». Spannend auch, dass Franziskus von «der christlichen Religion» schreibt, und nicht etwa von «der Kirche», seiner/unserer Kirche. Dass es einen so alten weissen (Kleriker)Mann braucht, um die offensichtliche Wahrheit zu formulieren!

Und dann wäre noch dies:

Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben. (Dtn 30,19)

Capella di termine
18. Mai 2023 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 3 Min.
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2 Gedanken zu „Beurteilungen Teil II

  • stadler karl sagt:

    Langsam kommt man, wenigstens ich persönlich, einfach nicht mehr nach! Vieles scheint verwirrend und es drängt sich der Eindruck auf, dass auch andere Menschen mit diesbezüglichen Schwierigkeiten kämpfen. Was kann man unter “Fortschreiten des christlichen Dogmas” verstehen? Das Thema des “wahren Glaubens” ist nun in der Geschichte des Christentums, keineswegs nur in der Geschichte der Kirche, wirklich in Dauerthema. Angefangen beim Nazarener, über Paulus, über die Kirchenlehrer und -väter bis hin zur Reformation, stand dieses Thema immer immer im Zentrum und damit in normativem Ductus die Menschen vor die Wahl gestellt. Und auch die Aufklärung scheint diesbezüglich keine eigentliche Wende eingeleitet zu haben. Der Fraktionen jedenfalls, die sich im Besitze der “Wahrheit” wähnen, sind kaum
    weniger geworden. Wahrheit aber, nicht nur im deskriptiven, auch im normativen Sinn, kann im religiösen Bereich nicht auf eine Funktion gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen reduziert werden.
    Nun streitet man sich innerkirchlich immer wieder über die Riten. Aber was der Kern der Eucharistie letztlich bedeutet, im Katholizismus doch ein relativ zentrales Glaubensgut, vermögen weder Tridentiner noch Nach-Konziliare den Menschen wirklich nahe zu bringen. Was kann innerhalb einer Religion, wie sie das Christentum darstellt, der Begriff “Wahrheit” für die Bewältigung des Lebens wirklich bedeuten? Ist Wahrheit etwas, das sich durchhält über alle historisch-kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen? Dass gesellschaftliche Wertvorstellungen, Glaubensüberzeugungen etc. sich je nach Kultur und Zeit-Epochen unterscheiden und einer fortwährenden Veränderungen unterliegen, war bereits in der Antike ein Allgemeinplatz. Aber hier drängt sich doch die Frage auf: Was trägt ein “Fortschreiten des christlichen Dogmas”, letztlich also die “christliche Wahrheit”, zusätzlich dazu bei, das solche Veränderungen, solche prozesshaften, unaufhaltsamen Entwicklungen zusätzlich zu bereichern vermöchte, was das Bewältigen der menschlichen Kontingenz sinnstiftend wirklich zusätzlich erleichtern würde? Wenn die innerkirchlichen Fraktionen, statt sich immer über das Messbuch von Roncalli und dasjenige von Montini aufzuhalten, sich mit dieser äusserst schwierigen Frage befassen würden? Gut möglich, dass die Menschen solchen Fragen tiefergehende Bedeutung beimessen als dem Zwist um die verschiedenen Messriten. Und vielleicht ist es möglich, dass die stetig steigenden Austrittszahlen mit solchen Fragen einen inneren Konnex aufweisen? Das Verdikt von Franziskus der “Rückwärtsgewandtheit” und “Rückständigkeit” allein, da bin ich mir fast sicher, greift zu kurz. Und auch an einer strukturellen Verkrustung allein kann diese Entfremdung nicht liegen.

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