© Barmherzigkeit | pixabay.com
Daniel Kosch

Barmherzig ist, wer ein Herz für die Armen und Elenden hat

Vor ein paar Tagen ging das Jahr der Barmherzigkeit zu Ende. Im päpstlichen Schreiben zu diesem Anlass betont Franziskus einmal mehr, die Barmherzigkeit könne im Leben der Kirche nicht bloss ein «Einschub» sein, sie sei «ihr eigentliches Leben».

Während andere Zeiten, andere Päpste und andere Theologien den Begriff der  «Wahrheit», der «Gerechtigkeit», der «Befreiung» oder der «Gnade» ins Zentrum stellen, schlägt Franziskus vor, das Christentum als Religion der Barmherzigkeit zu verstehen und zu leben.

Was steckt im Wort «Barmherzigkeit»

Sowohl das deutsche Wort «Barmherzigkeit» als auch das lateinische Wort «misericordia» enthält zwei Teile. Die erste Silbe (»barm», lateinisch «miser») verweist auf Erbärmlichkeit, Armut, Elend, Bedürftigkeit und Schwäche. In der zweiten Silbe steckt das Wort «Herz» (lateinisch «cor»), also das Zentrum des menschlichen Lebens, das im biblischen Verständnis nicht nur Zentralorgan für das biologische Leben und Sitz der Gefühle ist, sondern auch der Ort ist, wo die zentralen Überzeugungen verankert und die Entscheidungen gefällt werden.

Gottes Herz schlägt für die Elenden

Ein Glaubens- und Kirchenverständnis, das von der Barmherzigkeit als zentraler Eigenschaft Gottes und entscheidender Grundhaltung des Menschen ausgeht, enthält ein Kernanliegen der Bibel, das in der Sprache der Befreiungstheologie Lateinamerikas «Option für die Armen» genannt wird. Gottes Herz schlägt für die Elenden und das Elend soll auch uns «zu Herzen gehen». Die Misere unserer Welt und auch unsere eigene Misere werden weder verharmlost noch überspielt.

Eine Kirche, welche die Barmherzigkeit ins Zentrum stellt, kann weder materielle noch psychische Not, weder gesellschaftliches noch individuelles Elend übersehen und sich daran vorbei  mit ihrem »rein religiösen» Auftrag befassen. Sie muss sich darum kümmern, wie der barmherzige Samariter, der seine Reise dafür unterbricht – und nicht daran vorbeigehen wie der Priester und der Levit. «Misericordia bedeutet, ein Herz haben für die Armen, die Armen im weitesten und umfassendensten Sinn» (Kardinal Walter Kasper). Gottes Barmherzigkeit wird erfahrbar, wo Menschen und wo auch die Kirchen sich von seinem Erbarmen leiten lassen, wo ihr Herz, wo ihr ganzes Engagement sich dem Elend anderer zuwendet. Dieses Erbarmen soll auch dort zum Zuge kommen, wo Menschen sich schuldig gemacht und so zu eigenem oder fremdem Elend beigetragen haben.

Das Reformationsjubiläum als Fortsetzung des Jahres der Barmherzigkeit

Fast zeitgleich mit dem Abschluss des Jahres der Barmherzigkeit wurde in den letzten Tagen das Reformationsjubiläum eröffnet – 500 Jahre nach dem Thesenanschlag Luthers. Im Zentrum der Theologie, der Frömmigkeit und des Kirchenverständnisses der Reformation steht ein anderer Begriff: Jener der «Rechtfertigung» des Menschen allein aus Gnade.  Aber inhaltlich sagt «Rechtfertigung aus Gnade allein» das selbe: Nicht der Besitz der Wahrheit, nicht die moralische Leistung und nicht die kirchliche Institution vermag den Menschen aus seinem eigenen Elend und die Welt aus ihrer Not zu retten, sondern die Zuwendung Gottes, sein Erbarmen mit den Armen, welcher Art ihre Armut auch sei. Das Reformationsjubiläum schliesst also nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich an das außerordentliche Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit an.  Kardinal Walter Kasper formuliert es so: «Die Barmherzigkeit ist die Gott eigene Gerechtigkeit, die den umkehrwilligen Sünder nicht verurteilt, sondern gerecht macht.»

© Barmherzigkeit | pixabay.com
24. November 2016 | 10:00
von Daniel Kosch
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!