Palmen
Tobias Grimbacher

Anfang und Ende nach Markus

«Der Anfang der frohen Botschaft von Jesus, dem Christus, dem Messias und Kind Gottes." So beginnt das älteste der vier Evangelien, benannt nach Markus. Als Leserinnen und Leser wissen wir, was dieser Anfang für Jesus bedeutet: sein Weg führt über Höhen und Tiefen mit aller Konsequenz ans Kreuz, in den qualvollen Tod. Am Palmsonntag hören wir dieses Jahr die Passionsgeschichte nach Markus mit Abendmahl, Verrat, Verurteilung und Hinrichtung. Zuvor feiert die Kirche aber nochmal das pralle Leben, den Einzug Jesu nach Jerusalem:

Sie führten den jungen Esel zu Jesus, legten ihre Obergewänder darauf, und er setzte sich auf ihn. Viele breiteten ihre Obergewänder auf dem Weg aus, andere Laubbüschel, die sie auf den Feldern abgeschnitten hatten. Die Vorangehenden und die Nachfolgenden riefen laut: »Hilf doch! Gesegnet sei, wer im Namen Gottes hereinkommt! Gesegnet sei das kommende Reich unseres Vorfahren David! Hilf doch, Du in der Höhe!« (Mk 11,7-10 BiGS)

Jesu Fangemeinde ist mit ihm auf dem Weg. Jesus ist der Star der Massen, volksnah – also ganz unabgehoben – mit ihnen unterwegs auf einem Esel, dem Last- und Arbeitstier der einfachen Leute. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass Jesus ihnen geholfen hat. Dass er sie körperlich geheilt hat. Oder dass er sie ernst genommen hat. Oder dass er andere auf ihre Vorurteile und Ausgrenzungsmechanismen hingewiesen hat.

Doch in Jerusalem verfängt das nicht mehr. Die religiöse Obrigkeit fühlt sich bedroht, wenn jemand neue Perspektiven des Glaubens entwickelt, erst recht, wenn er sie mit der Bibel begründet. Den meisten Einwohnern ist er vermutlich egal. Ein Fremder, aus einem anderen Teil des Landes, noch dazu mit einer seltsamen Meute im Schlepptau. Was soll der schon bringen? Ausser Ärger, Störung der gewohnten Abläufe. Also weg damit – und weil es der Obrigkeit doch nicht ganz geheuer ist, möglichst schnell.

Wir kennen die heutigen gesellschaftlichen Mechanismen, vor 2000 Jahren dürften sie nicht grundlegend anders gewesen sein. Wir jubeln der eigenen Interessensgruppe zu, aber lehnen manch andere Meinung pauschal ab, wenn sie nicht in unser Denkmuster passt. Das machen nicht nur die Extremisten am rechten und linken Rand, das passiert uns in der breiten Mitte auch. Fatal ist natürlich der Umgang mit dem Fremden, mit alten und neuen Vorurteilen, die kein Wissen oder Kennenlernen brauchen. Das gilt für den brutal erstarkten Antisemitismus und Antiisraelismus – nie wieder ist jetzt! – aber genauso für antimuslimischen Rassismus und andere religiös begründete Diskriminierung. Ganz zu schweigen von der Einschüchterung und Drangsalierung bishin zur Ermordung systemkritischer Stimmen in totalitären (und auch in nicht so totalitären) Staaten. Zwischen der Passionsgeschichte und aktuellem Geschehen gibt es leider manch unschöne Parallele.

So spitzt sich für Jesus die Lage zu, vom prallen Leben des Einzugs, über ein ungutes Gefühl, das die Jüngerinnen und Jüngern manchmal beschlichen haben mag, bis zum Ölberg, wo die Falle zuschnappt. Ein bisschen Populismus, ein bisschen politische Intrige, jede Menge Verachtung und ein paar Gefälligkeiten, und schon haben die machthabenden Römer, Herodes und die hohe Priesterschaft die finale Vernichtung geplant. Jesus wird einfach umgebracht:

Um 12 Uhr breitete sich eine Finsternis im ganzen Land aus bis um 3 Uhr. Um 3 Uhr schrie Jesus sehr laut: »Elo-i Elo-i lama sabachthani«? Das heißt übersetzt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Als einige der Dabeistehenden das hörten, sagten sie: »Sieh nur, er ruft Elija«. Einer lief, tränkte einen Schwamm mit durstlöschendem sauren Wein, steckte ihn auf einen Rohrstock und gab ihm zu trinken, wobei er sagte: »Halt, wir wollen sehen, ob Elija kommt, um ihn herunterzuholen.« Aber Jesus schrie laut auf, und sein Lebensgeist verließ ihn. Da zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten in zwei Teile. Als der ihm gegenüberstehende römische Offizier sah, wie ihn sein Lebensgeist verließ, sagte er: »Dieser Mensch ist in Wahrheit Gottes Kind.«
Von ferne schauten Frauen zu, unter ihnen Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und von Joses, und Salome. Diese Frauen waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten mit ihm in der Verkündigung und in der Versorgung der Gruppe gearbeitet. Und noch viele andere Frauen waren mit ihm zusammen von Galiläa nach Jerusalem gezogen. (Mk 15,33-41 BiGS)

So endet also diese «frohe Botschaft von Jesus, dem Christus, dem Messias und Kind Gottes" nach Markus. Die Frauen stehen da, schauen zu, sind erstarrt. Sie sehen, dass es vorbei ist mit diesem Jesus, von dem nun der Heide bekennt, dass er ein besonderes Gotteskind war. Sie sehen, dass es vorbei ist mit ihrer Verkündigung, ihrer Gruppe, ihrer Hoffnung.

Wenn wir sie so stehen sehen, dann wissen wir, dass es noch nicht ganz vorbei ist. Wir kennen das letzte Kapitel: diese drei – Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome – werden nach zwei langen finsteren Nächten losgehen, um den Leichnam Jesu zu suchen. Doch sie finden nur einen Engel, der sie nach Galiläa zurück schickt. Erst dann ist es vorbei.

Palmen | © 2023 Tobias Grimbacher
23. März 2024 | 14:32
von Tobias Grimbacher
Lesezeit: ca. 3 Min.
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