Heinz Angehrn

Aneignung (kulturelle)

Das löst in mir nun den akuten Drang zur Ironisierung aus. Man/frau rege sich auf, muss aber nicht sein! Beispiele für Aneignungen:

Lang Lang, hetero Pianist aus China, ist nicht befugt, Werke des schwulen russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky aufzuführen. Sofort alle Aufnahmen vernichten, sonst naht die Kultur-Polizei.

Die Stadt Basel ist nicht befugt, schottische Musik unter dem angeeigneten Namen Basel-Tattoo anzubieten. Wurde doch Basel niemals von den bösen Engländern unterdrückt. Basler Kultur-Polizei, sofort eingreifen!

Pene Pati, Tenor aus Samoa, muss daran gehindert werden, irgendwann im Opernhaus Zürich Belcanto-Arien des Süditalieners Vincenzo Bellini vorzutragen. Zürcher Kultur-Polizei, sofort zu Herrn Homoki.
Dito Pretty Yende aus Südafrika. Da dies das aber schon geschehen ist, sofort büssen.

Das seit Jahrzehnten anhaltende Verbrechen, dass christliche Musiker George Gershwins Werke aufführen, muss sofort gestoppt werden. Alle Aufnahmen einstampfen und Daniel Barenboim engagieren!

Schweizer Gemeinden müssen daran gehindert werden, Erlaubnisse bzw. Lizenzen für sogenannte «Oktoberfeste» zu erteilen. Herr Söders CSU hat schon mit Sanktionen gedroht.

Des weitern ist «Philadelphia» sofort neu zu verfilmen, und Tom Hanks und Bruce Springsteen sind die Oscars abzuerkennen. Herr Hanks gesteht die Untat selber ein.
(Das gilt selbstverständlich auch für Ang Lee.)

Louise Pennys Gamache-Krimis gehören alle eingestampft. Da kommen doch eine schwarze Buchhändlerin und ein schwules Bistro-Betreiberpaar vor. Frau Penny ist weiss und hetero. Pfui!

Mail nach Bayreuth: Es darf nie mehr geschehen, dass Richard Wagners «Meistersinger von Nürnberg» inkorrekt inszeniert werden. Hallo, Barrie Kosky! Nur noch Regisseure/innen, die Mitglied der AfD sind, das wäre die beste Lösung.

Und schliesslich und am schändlichsten: Alle Anlässe, die mit «Irish folk festival» gekennzeichnet sind, sind dringend zu überprüfen, ob denn da nur katholische Musiker/innen mit Ururgrosseltern reiner Insel-Abstammung und rotem Haupthaar auftreten. Kein Schotte, kein Ami und schon gar kein Engländer. Sonst: Absagen, verbieten.


Das böse Wort von der «Kultur-Polizei»stammt übrigens von Marc Sway.
Für alle anderen Worte und Gedanken übernimmt volle Verantwortung: der böse weisse männliche Schreiberling

(Doch nun noch in allem Ernst: Hinter dieser Idee von der Aneignung steht ja der Gedanke, dass es Tätern nicht zusteht, Symbole/Riten etc. ihrer Opfer/Opfergruppen zu übernehmen und gar zu Kommerz-Zwecken zu vermarkten. Als ethische These ist dies korrekt. Doch nun müssten wir darüber reden, wer denn in der Geschichte Täter und wer Opfer gewesen sind. Und da stolpert die radikale Theorie über sich selber. Die Täter waren nicht nur Weisse, nicht nur Männer, nicht nur Europäer. Es gab und gibt auch Täterinnen, es gab und gibt Gewalt durch Nichtweisse. Nicht umsonst habe ich die irische Volksmusik als letztes Beispiel gebraucht; die Bewohner/innen der irischen Insel waren während Jahrhunderten Opfer und Unterdrückte, ihre Kultur und Musik ist so zu verstehen. Selbst die Deutschen, quasi die «Ober-Täter» der Weltgeschichte, waren in den Jahren nach 1945 im Osten Opfer, wurden vertrieben, vergewaltigt, gedemütigt. Und wenn dann gar Ideologen antisemitischer Sorte die These vertreten, dass Juden keine Opfer sein können, weil sie weiss seien, dann ist das nur noch übelste Hetze.)

Bildquellen

  • top-secret-1726360_1920: pixabay.com CCO
30. Juli 2022 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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2 Gedanken zu „Aneignung (kulturelle)

  • Hansjörg sagt:

    So spielt das Leben.
    Einige Mitmenschen haben ein Problem mit dem Haarschopf von Musikern, was völlig lächerlich ist. Die kath. Kirche hat ein Problem mit Frauen bei der Ausübung von Priesterberufen und in Machtpositionen innerhalb der eigenen Organisation, was in der heutigen Zeit auch völlig lächerlich ist.

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