Heinz Angehrn

Alp-Trilogie III: Ad fontes

Die ganzen bisherigen Überlegungen und Spekulationen wären natürlich Makulatur, wenn man(n) sich nicht wenigstens ein Mal fragen würde: Wie hat das denn alles einmal angefangen? Nur scheint mir diese Frage schon in der ganzen Kirchengeschichte seit der Konstantinischen Wende irgendwie vergessen gegangen – oder eher noch – verdrängt worden zu sein. Grosse Geister und mächtige Menschen wie etwa in neuester Zeit Hans Küng, Paul Michael Zulehner und Josef Ratzinger haben sich zwar intensivste Gedanken gemacht, doch dem wirklichen Anfang haben auch sie nicht sehr lange nachgefragt. (Bei Benedikt XVI. ist zumindest anzuerkennen, dass er dazu auch eingestand, dem johanneischen Jesus eben näher als dem synoptischen zu stehen, was uns ganz viel über seine Persönlichkeit und seine Frömmigkeit verrät.)

Beginnen wir aber doch bei Ratzingers erstem Jesus-Buch. Dort zitiert selbst er als Papst den berühmten und schon hundertfach verwendeten Satz von Alfred Loisy aus dem Jahr 1902: «Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen aber ist die Kirche». (Halten wir das zunächst genüsslich fest, dass selbst ein so konservativer und traditionsbewusster Mensch wie Ratzinger diese provokante These für erwähnenswert hält, anscheinend plagte auch ihn ein Anteil schlechten Gewissens…) Der eklatante und schon fast häretische Kontrast zwischen dem Anfang dessen, was wir als «Jesus-Bewegung «, der neuen religiösen Gruppierung rings um den apokalyptischen Wanderprediger aus Nazareth vor und nach dessen gewaltsamen Tod, kennen, und der allmächtigen und in ihrem Oberhaupt unfehlbaren Grosskirche, die daraus erwuchs, kann von niemandem guten Gewissens bestritten werden.

Was stand denn nun am Anfang? Die drei synoptischen Evangelien und das Ethos des Urchristentums, wie es uns in den ältesten Dokumenten begegnet, zeigen uns mehr als klar, was «ad fontes» heissen würde und was beginnend mit den grossen Konzilien des 4. und 5.Jahrhunderts und noch mehr mit dem Wachsen einer intellektuellen «Staats-Theologie» ab dem frühen Mittelalter verschüttet, verdrängt und – das ist wohl das Schlimmste – «häretisiert» wurde:
– bewusste Armut und Kollektivbesitz von grösserem Vermögen
– Pazifismus
– Verzicht auf Machtpositionen und Machtansprüche
(Ein PS hier: Ist Euch/Ihnen auch aufgefallen, was in Zeffirellis wunderschönem Franziskus-Filme die korrupten Kardinäle flüstern, wie Francesco vor Innozenz III. steht: «Das ist der Mann, der uns das Volk wieder zurückbringen wird»!)

Wenn die kleingeschrumpfte und ihrer materiellen Mittel beraubte Kirche Mitteleuropas ad fontes gehen wollte und würde, wird dies ein harter und schwieriger Weg. Das momentan vorhandene Personal könnte dies nicht leisten. Die vielen Jahrhunderte des Lebens aus Machtpositionen heraus und die vielen Jahrzehnte der materiellen Sicherheit haben uns wohl korrumpiert.

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25. April 2020 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Ein Gedanke zu „Alp-Trilogie III: Ad fontes

  • stadler karl sagt:

    Man kann Ihnen da, in Bezug auf solche Ideale, wohl über weiteste Strecken kaum überzeugend widersprechen. Sie beziehen Ihre Darlegungen spezifisch auf die Kirche, bzw. auf eine Lebensform, die ihre Wurzeln in einem Urverständnis des Christentums sieht. Ja, vielleicht haben Sie recht: ein solches Verständnis von Christentum und eine konsequente Lebensform wäre eine Voraussetzung, dass es so etwas wie als Salz der Erde bilden könnte. Aber lassen sich diese Werte und Ideale, in Form von Verkündung und Evangelisierung, auf die allgemeine Menschheit übertragen? Und war dieser Prediger aus Nazareth wirklich ein so umgänglicher Typ, als welcher er immer wieder gezeichnet wird? Manchmal will es scheinen, es bräuchte nicht viel, um mit ihm Streit zu geraten?
    Mir persönlich stellt sich in diesem Zusammenhang immer die Frage: Entsprechen diese Ideale und scheinbar tragenden Werte wirklich den anthropologischen Gegebenheiten, und zwar völlig kulturunabhängig? Sind wir Menschen in der Mehrheit solchen Lebensformen in einem tieferen Sinn über Dauer zugänglich? Empirisch/phänomenogisch betrachtet sind Machtansprüche/Machtpositionen und deren gewaltsame Durchsetzung doch in keiner Weise ein Charakteristikum, das ausschliesslich oder hauptsächlich die westlich-kapitalistische, von Wohlstand geprägte Kultur auszeichnen würde. Ist man nicht ein wenig geschichtsblind, wenn man davon überzeugt wäre? Man findet kaum eine Phase in der Geschichte, wo nicht Macht und Gewalt innerhalb einer Gesellschaft zu sehr effizienten Wirkfaktoren gehörten. Bereits archeologische Belege zeigen, dass in Zeiten, wo man von moderner Zivilisation und schon gar nicht von Aufklärung etwas wussste, wo sich aber das Leben der Menschen andererseits aufgrund ihrer bescheidenen technologischen Entwicklung noch viel umweltfreundlicher und ökologisch verträglicher abwickelte, diese Kleingesellschaften durch ein sehr hohes Mass an Gewaltanwendung gekennzeichnet waren, proportional auf die für damals geschätzte Bevölkerung bezogen wahrscheinlich durch ein höheres Mass als heutige Gesellschaften trotz aller weltweiten Konflikte.
    Und finden sich in der Geschichte religiöse oder säkulare Bewegungen, welche zwar Gerechtigkeit, gerechte Verteilung von ökonomischen Gütern, eine ausgewogene Machtverteilung, Fortschritt etc. auf ihre Fahnen schrieben, die letztlich jedoch nicht trotzdem oder eben gerade deswegen in äusserst gewaltsame Entwicklungen und Unterdrückung ausarteten? Manchmal kommt es einem vor, dass wir doch alle nach “Gerechtigkeit” streben, zumindest soweit wir persönlich von diesem Ideal profitieren können. Daher vielleicht auch die geistesgeschichtlich-kulturelle Zäsur der Aufklärung. Aber nicht zuletzt die Geistesströmung der Aufkärung birgt ihrerseits, trotz all ihrer grossen Errungenschaften, wiederum enorm viel Zündstoff, Gewalt- und Zerstörungspotential in sich, was sich anhand all dieser von Idealen getragenen Bewegungen, die geistesgeschichtlich zumindest teilweise auch in der Aufklärung wurzeln, empirisch immer wieder in der neuzeitlichen Geschichte gezeigt hat. Und kennen Macht und Gewalt sehr oft nicht auch sehr subtile, kaum erkennbare, und dennoch wirksame Formen?
    Garantieren denn Kollektivbesitz von grösserem Vermögen und bewusste Armut, dass es dem Grossteil der Menschen besser ergehen würde? Da stellen sich doch, gerade aufgrund historisch-empirischer Ereignisse, ganz gewaltige Zweifel ein. Und ebensowenig vermag man sich jenen anzuvertrauen, die auf eine neoliberale Ideologie und deren Dogmen schwören. Auch in diesem Zusammenhang liessen sich ausreichend Belege finden, die alles andere als dem überwiegenden Teil der Menschen und der Natur würdige Verhältnisse bescheren würden.
    Im Grunde scheint nichts bleibend, sondern alles im Fluss zu sein. Das Diktum von Heraklilt, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigt, ist nicht ganz abwegig. Und wenn Wittgenstein in “Über Gewissheit” sinngemäss schreibt, dass gewisse Erfahrungssätze erstarren und als Leitung für nicht erstarrte Sätze im Sprachspiel dienen – man kann diese Aussage gewiss auch auf “Wahrheit” und Werte anwenden – und bald wieder erstarrte Erfahrungssätze, die als Leitung, als Orientierung fungierten, in Fluss geraten können, während bis anhin fliessende Formen erstarren können, so wie in einem naturierten Fluss das Flussbett sich immer wieder ändert, so geraten manchmal auch lieb gewonnene Lebensformen in ihrer Geltung plötzlich ins Fliessen.
    Wo finden sich überzeitliche, vorbestehende Werte, die den Fluss der Zeiten, den Prozess der Ereignisse und der Kultur, überdauern, die wie ein unverrückbarer, riesiger Felsblock, der in einem wilden Bergbach eingebettet sich durch kein Unwetter verschieben lässt, ihre Geltung zu bewahren vermögen? Wo finden sich Menschen, die diese Werte, wenn es denn solche gibt, auch im Prozess der Ereignisse unbeirrbar mit sich weitertragen? .

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