Heinz Angehrn

Der Weg zur Sekte ist vorgezeichnet – «Die Tagespost»

Vor einiger Zeit habe ich hier mitgeteilt, dass ich – aufgrund von hier in anderen Blogs und in der Korrespondenz dazu bereits mitgeteilten Gründen – das freundliche Angebot der deutschen «Katholischen Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur» für fünf Gratisnummern wahrgenommen habe und mich hier dazu äussern werde. Nun: Die Frist ist abgelaufen und bei mir machte sich etwa nach Nummer 3 von 5 eine Mischung von leichter Langweile und tiefer Trauer breit, die auch jetzt geblieben ist.

Leichte Langeweile: Es ist nicht etwa so, dass die «Tagespost» nicht breit aufgestellt ist und aus verschiedenen Ressorts berichtet, aber der Gesamteindruck bleibt von Nummer zu Nummer der gleiche. Hier befinden sich anständige Intellektuelle in einem permanenten Rückzugsgefecht mit der für sie verstörend wirkenden Welt der Postmoderne. Fast jedes Thema wird von immer der gleichen Seite ausgeleuchtet, die Damen und Herren sind auf der Suche nach immer neuen Anzeichen von Dekadenz und Untergang des ihnen so wichtigen «christlichen Milieus» des europäischen Abendlandes. Dass sie dies dann noch am Hauptbeispiel der ecclesia semper reformanda vornehmen, irritiert, ja verstört.
Anders gesagt: Es fehlt fast der ganzen Redaktion am Mut zum Diskurs und zum ständig neuen geistigen Aufbruch, der etwa zurzeit in vielen Beiträgen zum 90.Geburtstag von Jürgen Habermas gelobt wird. Schade, liebe Leute: Es lohnt nicht, Euern ständigen Trauergesang zu lesen. Da ist mir jede Ausgabe von «Neue Wege» lieber, obwohl ich mit geistigen Linkschaoten nichts mehr am Hut habe…

Tiefe Trauer: Aus dieser oben beschriebenen Grundhaltung heraus wird von Nummer zu Nummer der dringliche Wunsch der Verantwortlichen und Schreibenden dieses Blattes sichtbar, dass sich die katholische Weltkirche möglichst bald zur Kleinkirche entwickeln möge, die nur noch von den wahrhaft Gläubigen (dieser Glaube bezieht sich dann übrigens nicht etwa auf das Neue Testament, sondern auf den Denzinger und den Kodex!) getragen und gebildet wird. Dem sage ich seit über zehn Jahren: Zur katholikalen Sekte, die sich dem Dialog mit Wissenschaft und Philosophie der Neuzeit bewusst verweigert und die Sündenfälle sowohl der Französischen Revolution wie der geistigen Aufklärung im Gefolge des Zweiten Vatikanums und der 60er Jahre generell intern rückgängig machen will. Nichts zeigt das übrigens besser als die erst kürzliche Reaktion des Blatts auf Maria 2.0. Diese bewusste Weigerung zu akzeptieren, dass unsere Kirche wahrhaft «reformanda» ist, ist schlechthin peinlich. Aber eben: Es gilt das oben Gesagte, von Habermas haben die wohl noch nie gehört.

 

Sacro cuore
18. Juni 2019 | 15:05
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 1 Min.
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Ein Gedanke zu „Der Weg zur Sekte ist vorgezeichnet – “Die Tagespost”

  • karl stadler sagt:

    Ein konservatives Presseerzeugnis eben! Aber, Herr Angehrn, wenn man die Zeit dazu findet und sich die Mühe nimmt, im Pressewald ein wenig breiter zu recherchieren, dies über einen gewissen Zeitraum hinweg, sodass sich ein vertiefter Eindruck bilden kann, dann müssen Sie doch zugeben, dass man die gleichen Erfahrungen in andern Erzeugnissen, die sich als fortschrittlich, aufgeklärt und pluralistisch deklarieren, genauso machen kann. Nur eben teilweise mit umgekehrten Vorzeichen! Da gewinnt man manchmal doch auch den Eindruck, dass wir, wie Sie es nennen, bereits am Abgrund stehen und in einer fast ausschliesslich von Populismus und reaktionären Strömungen beherrschten Welt geistig zu ersticken drohen und zu absoluten Fehlhaltungen verleitet werden.
    Nein, es ist gewiss nicht einfacher geworden, sich den Zugang zu verlässlichen Informationen zu beschaffen oder Hintergrundsberichterstattungen zu finden, die sich wirklich durch kritisch-analytischen Sachverstand auszeichnen. Meines Erachtens ist dies eine recht grosse Herausforderung für alle, die sich in seriöser Weise auf dem Laufenden halten möchten. Gerade wenn Sie als geistigen Hintergrund die Aufklärung, die Philosophie, nach meiner Meinung übrigens keineswegs nur die nachkantische, erwähnen, so macht dies das Unterfangen, für neue geistige Stömungen und Impulse offen zu sein, nur umso schwieriger! Wie komplex sich die Dinge darbieten können, zeigt Ihr Kommentar zu Poppers berühmtem gesellschaftsphilosophischem Werk. Aber es gibt eben keineswegs nur den Platon der “Politeia”. Es gibt auch den sokratischen Platon, aber auch den späteren, oder z.B. jenen der “Apologie des Sokrates”, der in den letzten Jahren (2011, überarbeitet 2019) von Rafael Ferber neu übersetzt und kommentiert wurde und der über weite Strecken sich als ein anderer Platon präsentiert, zumindest gelesen werden kann, als jener der Politeia oder auch der Nomoi.
    Wie ich bereits sagte, habe ich ja auch drei Nummern der Tagespost bekommen. Fand allerdings wenig Zeit zu intensiver Lektüre. Ich würde mich gewiss nicht mit allem einverstanden erklären. Aber in der Nummer vom 13. Juni sind mir dennoch zwei Beiträge positiv aufgefallen: Das Blatt wagt es, Kardinal Pell nicht a priori zu verurteilen, bevor das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist. Da habe ich andernorts, ausgerechnet in “fortschrittlichen” Erzeugnissen, schon ganz anderes gelesen. Oder sie drucken auch ein interessantes Intervierw mit Jan-Heiner Tück ab, der sich auch ab und zu in der NZZ zu kirchenpolitischen Themen äussert. Oder der Beitrag zum 90. Geburtstag von Habermas, der zwar an der Oberfläche bleibt, aber immerhin auch die berühmte Auseinandersetzung von 2004 mit Ratzinger, die ja damals wirklich ein wenig Erstaunen auslöste, erwähnte.
    Oder auch der Beitrag zum deutschen Embryonenschutz, der doch lesenswert ist. Und zwar vor allem lesenswert unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Wissenschaft und Ethik, dem Verhältnis von Sein und Sollen, ein Verhältnis, das nach meiner persönlichen Überzeugung auch heute alles andere als geklärt erscheint!
    Vermutlich haben Sie schon ein wenig recht: Viele würden sich in dieser geistigen Welt manchmal ein wenig eingeengt fühlen oder dem Reformbedarf der Kirche würde teilweise ablehnend begegnet. Aber als konservatives Gegengewicht im Kontext der aktuellen gesellschaftspolitischen und kirchlichen Auseinandersetzungen besitzt dieses Blatt sehr wohl seine Legitimität.
    Und als Aussenstehendem stellt sich bei mir aufgrund meiner persönlichen Beobachtungen manchmal das Gefühl ein, dass viele Gläubige nicht in erster Linie von den Hauptstreitthemnen, die in der Kirchenpolitik hüben wie drüben, abere auch in den Medien, schwergewichtig Beachtung finden, umgetrieben werden, als vielmehr von der persönlichen, existentiellen Kontingenzbewältigung, dies in der Suche nach einer berechtigten Hoffnung auf etwas Transzendentes. Ob hier die Kirchen ihr Kerngeschäft wirklich immer befriedigend ausführen?

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