Karin Reinmüller

Zur Arbeit verflucht?

(Dieser Beitrag basiert auf meiner Predigt in St. Benignus Pfäffikon vom 2.5.)

Im dritten Kapitel des Buchs Genesis, ganz am Anfang der Bibel, wird ein sehr menschliches Gottesbild gezeichnet: Gott geht abends, als es kühler wird, im Paradies spazieren, nach getaner Arbeit, möchte man meinen. Die Szene spielt kurz nach der Schöpfung und noch kürzer nach dem sogenannten Sündenfall: Weil sie von der Frucht gegessen haben, die sie Gut und Böse erkennen lässt, müssen Adam und Eva das Paradies verlassen. Und Gottes Ankündigung dazu hat etwas Erschreckendes: Nicht nur werden der Frau Schmerzen beim Gebären vorhergesagt, sondern auch sexuelle Gewalt durch den eigenen Mann wird kaum verschlüsselt prophezeit. Und dem Menschen wird harte Arbeit angekündigt – «Im Schweiss deines Angesichts wirst du dein Brot essen» ist zum Sprichwort geworden. In der früheren Version der Einheitsübersetzung hiess es «sollst du dein Brot essen», das ist vor wenigen Jahren mit der Revision geändert worden. Im Hebräischen lässt sich nur aus dem Kontext erkennen, ob es um eine Aufforderung geht (du sollst) oder um eine Vorhersage (du wirst). So ist, meiner Meinung nach zu Recht, aus der Arbeit als Fluch «Du sollst dich anstrengen müssen» die Feststellung einer Tatsache geworden «Es wird anstrengend».
Dass Arbeit anstrengend ist, ist also eine Konsequenz dessen, dass wir nicht mehr im Paradies leben. Denn Arbeitslosigkeit, Nichtstun, war auch im Paradies nicht angesagt. Der Schöpfungsbericht liefert ein wunderbares Beispiel dafür, wie Gott sechs Tage lang arbeitet, so sehr, dass er sich anschliessend erstmal Ruhe gönnen mag. Und auch im aktuellen Sonntagsevangelium (Johannes, Kapitel 15) wird das Bild eines Arbeiters für Gott verwendet – Gott arbeitet als Winzer, um Trauben ernten zu können.
Diese beiden kontrastierenden Vorstellungen von Arbeit stehen sich nicht nur in der Bibel gegenüber: Auf der einen Seite Arbeit als etwas, das getan werden muss, um unser Überleben zu sichern, und auch unseren Lebensstandard. Das ist schweisstreibend und wer es sich leisten kann, vermeidet nach dieser Vorstellung Arbeit. Auf der anderen Seite steht Arbeit als Möglichkeit, schöpferisch tätig zu sein oder auch, etwas dazu beizutragen, dass die Welt ein besserer Ort wird, dass sie dem Reich Gottes näher kommt. Arbeiten wir, weil wir das Paradies verloren haben – oder um es neu zu schaffen?
Bevor ich meine Antwort auf diese Frage versuche, möchte ich noch auf zwei Dinge eingehen:
Erstens: Arbeit ist nicht nur Lohnarbeit. Sehr viel Arbeit wird unbezahlt getan, übrigens mehrheitlich von Frauen, in Haushalten und Pflege. Aber auch Enkel hütende Senioren leisten Arbeit, auch dann, wenn sie Freude daran haben, denn – nicht jede Arbeit muss schweisstreibend sein, das haben wir ja schon gesehen.
Zweitens: Arbeit, oder Beruf, ist nicht identisch mit Berufung. In unserer Kultur wird, nicht zuletzt in kirchlichen Kreisen, viel Wert darauf gelegt, die eigene Berufung zu entdecken, den Willen Gottes für mein Leben. Und ich will nicht bestreiten, dass es Menschen gibt, für die ihr Beruf gleichzeitig ihre Berufung ist, es gibt vom Tagi eine Serie dazu. Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es für die Mehrzahl der Menschen ein Luxus ist, zu überlegen, welche Arbeit mir entspricht, und ein grösserer, was da noch meine Berufung sein könnte. Global gesehen müssen die meisten Menschen eine Arbeit finden, von der sie leben können, oder sie tun in der Familie, im Haushalt, was eben getan werden muss.
Das Letztere klingt, wenn ich jetzt zurückkehre zur Frage nach der Arbeit und dem Paradies, als ob eine Arbeit, mit der die Welt ein besserer Ort werden soll, ein Luxusgut ist. Gott arbeitet so, Künstlerinnen, vielleicht Wissenschaftler oder Ingenieurinnen, Ärztinnen oder Therapeuten. Während für die grosse Mehrheit der Menschen nur eine Art zweite Klasse von Arbeit übrig bliebe, das schweisstreibende Verdienen des täglichen Brotes.
Das halte ich für einen grossen Irrtum. Und den möchte ich an Jesus selbst illustrieren, der ja wohl über Zweifel erhaben ist, er hätte nicht sein ganzes Leben am Reich Gottes gearbeitet. Sein ganzes Leben – das schliesst viele Jahre ein, über 10 Jahre, in denen Jesus als Zimmerer in einem Beruf gearbeitet hat, den er einfach von seinem Vater übernommen hat. Das war häufig auf Montage, auf einer Baustelle irgendwo, sicher anstrengend, nötig um den Lebensunterhalt zu verdienen – und gleichzeitig war das nicht weniger Mitbauen an einer besseren Welt als später seine Prediger- und Heilungstätigkeit.
Und deshalb meine Antwort: Ich denke, ob Arbeit Konsequenz der Vertreibung aus dem Paradies ist, oder Beitrag zum Weg der Menschheit dorthin, ist eine Entscheidung derjenigen, die die Arbeit tut. Jede Arbeit, und sei sie noch so fromm oder ethisch hochstehend, kann zum schweisstreibenden Fluch werden, jede kann zu einem Baustein des Reiches Gottes werden – wie in der Geschichte von dem Mann, der den Parkplatz bei der NASA kehrt und von sich sagt «ich helfe, Menschen zum Mond zu bringen». Und wir können das, bei all unserer Arbeit, immer wieder neu entscheiden.

Bild: Chevanon Photography auf Pexels
2. Mai 2021 | 16:47
von Karin Reinmüller
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Ein Gedanke zu „Zur Arbeit verflucht?

  • stadler karl sagt:

    Was die Genesis auf unverzeihliche Weise verschweigt: Der menschliche Ungehorsam, das Naschen vom Baum der Erkenntnis, war der letzte entscheidende Schöpfungsakt, vollzogen durch die Menschen selber. Er machte sie erst zu dem, was sie sind: Menschen. Dieser Schritt eröffnete ihnen, dass es vielleicht so etwas wie menschliche Freiheit gibt, die den Menschen aber auch auferlegt, die Last der Weiterführung der Schöpfung auf sich zu nehmen. Und das ruft nach Arbeit im Schweisse seines Angesichts!

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