Zug
Bettina Flick

Wie Gott seine Freunde behandelt

Ich sitze im Zug auf der Heimfahrt von Deutschland. 10 Minuten, bevor wir Konstanz erreichen, bleibt der Zug plötzlich auf offener Strecke stehen. Das Gewitter hat einen grossen Ast auf die Gleise geworfen und Elektro-Leitungen beschädigt. Eine Zeit des Wartens beginnt. Ich bete das «Gebet der Hingabe» (Ein Gebet, das den Alltag verwandelt) und bin gespannt, ob es mir gelingen wird, gelassen zu bleiben.

Das gemeinsame Warten lässt uns im Abteil offener werden. Wir reden miteinander. Die Stimmung ist sehr ruhig. Und wenn jemand aus unserer kleinen Schicksalsgemeinschaft kurz davor ist, die Nerven zu verlieren, sind sofort andere wieder da, die positiv denken.

Nach einer Stunde wird mir bewusst, dass ich nun keinen Anschluss mehr haben werde, der mich in der Nacht noch nach Hause bringt. Und aus Erfahrung weiss ich, dass die Hotels in Konstanz vor allem im Sommer oft ausgebucht sind.

Zu allem sage ich ja, alles nehme ich.

Ich lasse die aufkommenden Sorgen wieder los.

Nach einer weiteren Stunde kommt die Meldung, dass wir von der Feuerwehr aus dem Zug evakuiert werden. Vom vorbeieilenden Schaffner erhalte ich einen Taxi-Gutschein von Konstanz bis nach Hause. Wir springen mithilfe der Feuerwehrleute mit unserem Gepäck aus dem Zug und gehen unter leichtem Regen auf dem Gleis im Gänsemarsch bis zu einem Parkplatz. Jemand in der Kolonne erinnert an die Situation der Flüchtlinge, die auch im Regen zu Fuss unterwegs sein müssen.

Am Parkplatz angekommen sind die Busse nach Konstanz schon voll besetzt abgefahren. Ich bleibe mit einer kleinen Gruppe zurück. Die Feuerwehr entscheidet, dass sie uns in ihren Feuerwehrautos nach Radolfzell bringen. Für die Kinder in unserer Gruppe ist das wohl das Highlight der Nacht.

Als wir in Radolfzell ankommen, stehen dort schätzungsweise 100 oder 150 Personen, die mit nachfolgenden Zügen gekommen waren, und warten auf Schienenersatzbusse. Es ist inzwischen Mitternacht. Wir stellen uns im leichten Regen zu den Wartenden. Das gelassene, frohe Warten und Vertrauen fällt inzwischen doch schwerer. Im Zug konnten wir wenigstens sitzen und es regnete nicht.

Was du auch mit mir tun magst, ich danke dir.

Vorbeikommende Taxis werden sofort bestürmt von viel zu vielen Menschen, die gern nach Hause wollen. Da kommt endlich ein Bus – und er hält direkt vor mir. In mir formt sich schon ein «DANKE!», als der Busfahrer verkündet, dass er nicht nach Konstanz, sondern in die andere Richtung fährt.

Wenn nur dein Wille sich an mir erfüllt
und an allen deinen Geschöpfen,
so ersehne ich weiter nichts, mein Gott.

Es dauert wieder eine ganze Weile, bis der nächste Bus kommt – dieses Mal nach Konstanz und ich finde einen Platz darin. Erleichtert sitze ich da, komme ins Gespräch mit einer indischen Studentin, die völlig überfordert ist von dieser Situation und immer wieder frägt: «Ist das normal hier?» Als ich ihr erzähle, dass ich ein Taxi finden muss, das mich die restlichen 80 km nach Hause bringen wird, ist sie ganz entsetzt: «Und wenn nicht: Wo schlafen Sie dann? Im Freien bei diesem Regen? Ist das nicht gefährlich?» Sie kann meine Ruhe nicht nachvollziehen.

In Konstanz kommen wir gegen 2.00 Uhr morgens an, fünf Stunden nach der geplanten Ankunftszeit. Mehrere Taxifahrer finden Gründe, mich nicht in die Schweiz fahren zu können, schlussendlich gelingt es mir, einen Taxifahrer zu finden, der mir sehr unwillig zu verstehen gibt, dass es ein Verlustgeschäft für ihn sei, Leute mit Gutschein würden meistens kein Trinkgeld geben, er müsse leer zurückfahren und ausserdem seien die Strafen fürs zu schnell fahren in der Schweiz einfach horrend. Erleichtert lasse ich mich in den Autositz fallen. Da kommt mir ein Satz von Teresa von Avila in den Sinn:

Als Teresa sich einmal im Gebet über die grossen Widerstände und alltäglichen Mühseligkeiten beklagte, hörte sie Jesus sagen: «Das ist meine Art, meine Freunde zu behandeln.» Woraufhin Teresa prompt erwidert: «Dann wundert es mich nicht, dass du so wenig Freunde hast!»

Mit einem Augenzwinkern und Dankbarkeit bete ich ein letztes Mal für diese Nacht:

weil ich dich liebe,
und weil diese Liebe mich treibt,
mich dir hinzugeben.

Zug | © pixabay CC0 Public Domain
23. Juli 2017 | 11:32
von Bettina Flick
Lesezeit: ca. 3 Min.
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