Markus Baumgartner

Wenn Himmel und Hölle sich begegnen

Rockmusik hat seit ehedem eine religiöse Dimension und eine auffallend starke Basis im christlichen Glauben. Denn viele Musiker erlebten ihre musikalische Sozialisation aus der Inspiration der Sklaven oder in christlichen Gottesdiensten. 

«Matthew 24 is knocking at the door», (Matthäus 24 klopft an der Türe) sang die US- Country-Legende Johnny Cash – zeitlebens ein gesegneter Apokalyptiker vor dem Herrn. Wenn Matthäus mit Vers 24 an die Tür klopft, ist kein Halten mehr. Oder um es mit Martin Luther noch drastischer auszudrücken: «Kein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen wird», schreibt die Zeitung «Die Zeit». 

In der Rockmusik sind selbst noch die Scherben zerbrechlich, alles Leben ist fragil, alles Lieben erst recht. Und der «Stomp» deutet es schon an: Aus dem Stampfen der schwarzen Sklaven, mit dem sie ihre schweren Arbeitsabläufe synchronisierten, erstand der Blues. Und wie die Bibel zelebriert die Rockmusik die Brüche der menschlichen Existenz. Man kann diesen Brüchen begegnen, wie es Mozart und die Beatles taten: Mit wunderbar spielerischen Harmonien erzeugen sie eine euphorische Stimmung, schreibt «Die Zeit» weiter. 

In den frühen Beatles-Songs wie «Help» oder «I Want to Hold Your Hand» versichert sich die christliche Gemeinde, dass keines ihrer Mitglieder allein ist. Während die etwas garstigeren Cousins, die Rolling Stones, dem Bösen mit einer luziden Trotzhaltung zu begegnen suchten, etwa in ihrem Hit «Sympathy for the Devil»: Wenn du den Teufel schon nicht besiegen kannst, dann musst du ihn umarmen. Himmel und Hölle – Heaven and Hell (so hiess auch ein Song der britischen Band Black Sabbath) sind die Amplituden, in denen sich die Rockmusik seit ihren Anfängen bewegt.

Spiel von Tod und Auferstehung

Das hat nicht zuletzt mit den Lebensentwürfen der Musiker zu tun, die nicht selten von Exzessen jeder Art gekennzeichnet sind. Wenn nach dem Konzert die Scheinwerfer erlöschen, fällt die Band in einen Orkus aus Leere und Finsternis. Der Mythos fällt in sich zusammen, um am nächsten Abend in einer anderen Stadt neu zu erstehen. Hier wird ähnlich wie in jedem guten Gottesdienst das ewige Spiel von Tod und Auferstehung wieder aufgeführt. Die Zuhörer erleben auf der Bühne eine Epiphanie, die Erscheinung einer Gottheit, Priester und Gemeinde verschmelzen dabei zu einem Ganzen.

Bob Dylan hat früh die Gefahr erkannt, als Hohepriester einer Generation wollte er nicht enden. Der jüdische Junge aus Minnesota, der zum Christentum übertrat, dann Platten mit evangelikalen Songs produzierte, hat sich im Laufe seines musikalischen Werdens immer neue Masken aufgesetzt. Seit 1979 ist er auf Never Ending Tour, er ist und bleibt der ewige Pilger, sein Song «Knockin’ on Heaven’s Door» ist der tröstlichste Endzeit-Song, den die Eschatologie jemals hervorgebracht hat.

Heilsgeschichte weitertragen

Welche Musikrichtung man auch immer genauer analysiert – immer ist Religion im Spiel. Bei Soul und Funk ist es naheliegend. Sie stammen aus dem Gospel. Rap ist die klappernde Litanei einer im Rhythmus entlehnten religiösen Rede. Ritus und Beschwörung werden über unsaubere Reime miteinander in Einklang gebracht. Heavy Metal arbeitet gerne mit satanischen Motiven – der Höllenlärm dieser Bands, das Höllenspektakel denkt den Himmel immer mit. Wie Luzifer ja letztlich auch ein dienstbarer Geist Gottes bleibt, so «Die Zeit».

Und immer geht es um den Mythos, den es braucht, um eine Heilsgeschichte weiterzutragen. Es fällt auf, dass sehr viele Musikerinnen und Musiker in der Gegenwart ihre musikalische Sozialisation bei den evangelikalen Gottesdiensten der US-Pfingskirchen erlebten, die Neo-Folk-Band Mumford & Sons zählt genauso dazu wie der Teenie-Star Justin Bieber.

Bild Quelle dreamtime.com
24. August 2020 | 21:51
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 2 Min.
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