Bruder Klaus und Gefährten

Wenn auch Dorothea die Worte fehlen

Der junge Sachsler Komponist Joël von Moos (*1991) hat sich jahrelang textlich und musikalisch mit dem Krise auseinander gesetzt, die in Niklaus’ Abschied von seiner Familie mündet. Dieses zweijährige Beziehungsdrama hat Joël von Moos nun in eine Libretto- und eine Tonsprache gegossen, die zugleich emotionale Nähe schafft und immer auch wieder Distanz markiert.

Einen Ehekonflikt auf Gesangsrollen zu verteilen ist in sich schon artifizieller als etwa das Bühnenstück. Die gewählten Stilmittel führen uns in die Tradition des geistlichen Konzerts, der Kantate. Niklaus ist durch einen Chor Männerstimmen repräsentiert. Choralartig, meist einstimmig, bisweilen polyphon gehalten, von der Orgel begleitet, scheint er bereits aus spiritueller Ferne her zu kommunizieren, auch wenn er mal nicht zu Gott, sondern zu seiner Frau spricht.

Sie hingegen ist uns nahe. Wenn Dorothea den Jüngsten, Chläusli, in den Schlaf singt, ihn damit tröstend, der Vater sei im Ranft beten und komme «scho glii wieder hei, und nimmt dich i sin Arm, är häbt dich und striicht der diä Tränli usem Gsicht», dann sind wir mitten im Drama. Dorotheas Stimmung wird mit gekonnt verarbeiteten Stilmitteln von bester romantischer Tradition über die «Minimal music» bis hin zum Filmmusik-Genre gezeichnet. Und in einer Art Umkehrung zu den gregorianischen Melismen, die als Jubilus die Textgebundenheit verlassen, verlässt auch Dorothea den Text. Ihr verschlägt es die Sprache nun aber nicht aus Jubel, sondern aus Unverstand und Schmerz. Ihr Jodel, in den die Singstimme immer wieder hinüberkippt, ist entgegen gängiger Jodellied-Tradition existenziell und geht durch Mark und Bein.

Das Schillern zwischen emotionaler Nähe und historischer Distanz ist auch auf der textlichen Ebene durchwegs wirksam. Denn inhaltlich deutet von Moos die Passionsmystik als Verständnis- und Lösungsschlüssel der Krise der beiden. Die Verwendung des Dialekts schafft hier wenigstens formal eine Brücke, aber auch dieser Dialekt ist artifiziell und weder archaisierend fremd noch wirklich «meiner».

Ein verstörend dichter, emotional wuchtiger, und dank der vorzüglichen Qualität der Ausführenden (Eberhard Rex dirigiert das Orchester Santa, die Luzerner Sängerknaben, Wolfgang Sieber orgelt, überstrahlt von der überragenden Jodlerin Nadja Räss) unvergesslicher und besinnlicher Abend!

Fr. Peter Spichtig op

 

Weitere Aufführungen: Freitag, 27. Oktober, 20 Uhr in der Klosterkirche Einsiedeln; Samstag, 28. Oktober, 20 Uhr in der Hofkirche Luzern.

www.dorothea.ch

Kritik von Urs Mattenberger in der Obwaldner Zeitung:

http://www.obwaldnerzeitung.ch/nachrichten/kultur/die-sicht-der-frau-im-fokus;art9643,1125602

Uraufführung der Kantate Dorothea von Joël von Moos am 22.10. in Sachseln (Foto: Peter Spichtig op)
25. Oktober 2017 | 07:01
von Bruder Klaus und Gefährten
Lesezeit: ca. 1 Min.
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