Heinz Angehrn

Wahrhaftigkeit

An diesem denkwürdigen Tag, nach all dem moralischen Übel, das durch nur einen Menschen in einer hohen Verantwortungsposition während ganzen vier Jahren über Welt und Menschheit gekommen ist, lohnt sich ein einfacher Blick in die Ethik hinein:

Zu den höchsten Gütern, nach denen der homo sapiens als die einzige sich selbst bewusst gewordene Spezies der Schöpfungsordnung, anders als das Tier darum fähig zum verantworteten Tun bzw. Lassen des Richtigen und Guten und umgekehrt fähig zum verantworteten Tun und Lassen des Zerstörerischen und Dämonischen, fähig ist, gehört die Wahrhaftigkeit.

Wahrhaftigkeit meint eine grundsätzliche Lebenseinstellung, die in allen Lebensbereichen das Tun, Sprechen und darum Leben des Richtig-Wahren zum Wohle eines moralischen Lebens und Zusammenlebens aller anstrebt und dies möglichst auch maximal umsetzt. Wahrhaftigkeit darf nicht nur von einer einzigen Religion oder Weltanschauung als Eigengut oder -wert behauptet werden, sie ist im Sinn der goldenen Regel bzw. des kategorischen Imperativs Bestandteil jedes Ethos, das auf den Prinzipien des Allgemeinwohls, der Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit aufgebaut ist.

Wahrhaftigkeit kann mühselig sein, wenn Politiker/innen wegen ihr an Popularität und Ansehen einbüssen (und doch hatte der St.Galler Gesundheitsdirektor recht, als er zur Pandemie sagte, dass das Sterben zum Leben gehöre und wir dies vergessen hätten). Wahrhaftigkeit kann unter monarchischen oder diktatorischen Bedingungen den Kopf kosten (und gerade darum sind uns Heilige wie Sir Thomas More und Oscar Romero Vorbilder). Mit der Wahrhaftigkeit tun sich leider auch viele Kirchenmänner schwer (wie anders wäre es möglich, dass eine Institution, die seit Jahrhunderten um die negativen Folgen des Pflichtzölibats weiss, weiter junge Weihekandidaten möglichst im Unklaren lässt).

Tu das Wahre, sprich das Wahre, lebe das Wahre. Und es soll keiner sagen, man wisse ja nicht, was das «Wahre» wirklich sei. Vier Jahre Trump haben uns (hoffentlich!) die Augen geöffnet.

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  • courage-853466_1280: pixabay.com CCO
20. Januar 2021 | 16:18
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 1 Min.
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2 Gedanken zu „Wahrhaftigkeit

  • stadler karl sagt:

    Ich glaube nicht, dass jemand von uns nach vier Jahren Trump auch nur im Ansatz weiss, was denn das “Wahre” wirklich ist. Wir sehen allenfalls nach vier Jahren Trump, was das Wahre eher nicht sein kann. Aber mit der “Wahrhaftigkeit” tun wir uns ja alle äusserst schwer, keineswegs nur der ausgefallene Egozentriker Trump. Während ganz Europa nicht müde wird, sich den isolationistischen und selbstbezogenen Trump lauthals auf den Mond zu wünschen, bezeichnet Xi Jinping das Vorgehen Chinas in Xinjiang als “völlig korrekt” und als “Erfolg”. Und die Europäer schneiden das Thema, wenn überhaupt, vielleicht bei irgendeiner Gelegenheit kurz an, sputen sich aber umso mehr, dieses Regime sofort wieder mit Samthandschuhen anzufassen. Schliesslich pflegt Europa enge Wirtschaftsbeziehungen mit diesem Regime, die CH unterhält gar einen Freihandelsvertrag. Im UN-Menschenrechtsrat findet sich, trotz Aufforderungen von Wissenschaftlern, keine Mehrheit, eine Untersuchung über diesen laufenden Genozid zu beschliessen. Dieses UN-Gremium stellt seit seinem Bestehen seit 2006 in mehr als 50% aller Verurteilungen lieber allein Israel an den Pranger.
    Und hierzulande bemüht sich ein Teil der Institution Kirche, ihr Rollenverständnis als “Wächterin von Ethik und Moral” bei uns in der Alltagshektik glaubhaft vorzubringen, um mit diesem Argument ihre mit öffentlichen Mitteln mitfinanzierte aktive Einmischung in konkrete politische Abstimmungen und Wahlen zu legitimieren. Gleichzeitig bekundet man jedoch keine Bedenken, zwar längst fälligen Entwicklungen im säkularen Bereich nachzueifern und Lebensformen, die seit Gründung der Institution Kirche durch diese auf schärfste missbilligt und ihre Vertreter in schlimmste Bedrängnis getrieben wurden, innert kürzester Zeit normativ als völlig natürlich zu werten. Auch solcher Umgang mit den Menschen hat etwas mit “Wahrhaftigkeit” zu tun.

  • stadler karl sagt:

    Ich meine, Herr Angehrn, man sollte den Terminus “Wahrhaftigkeit” eigentlich aus unserem Vokabular streichen. Wir sind ohnehin nicht in der Lage, dieses Ideal auch nur in approximativer Weise zu leben. Es kommt vielleicht nicht einmal darauf an, in welchen Bereichen dieser Begriff angewandt wird. Als kleines Beispiel mag ein Beitrag von Martin Rhonheimer in der NZZ vom 20. Januar gelten, der, bezogen auf Kirchenkritik, thematisiert, wie vorurteilsbelastet über weite Strecken Kritik geäussert wird, Kritik, die im Grunde gewiss dringend notwendig ist, aber aufgrund mangelnder Offenheit für die wirklichen Gegebenheiten und Situationen nicht selten mehr in einer destruktiven Befangenheit ihr Bewenden hat. Und es gäbe auch viele andere Gebiete zu nennen. Ich ertappe mich persönlich selber übrigens auch immer wieder. Und man begegnet manchmal auch auf dieser Website Beiträgen, die nicht den Eindruck vermitteln, sich um einen breitgefächerten Fokus im Hinblick auf einen verfahrenen Konflikt oder schwierige Fragen zu bemühen. Persönlich komme ich je länger je mehr zur Überzeugung, dass gerade Begriffe wie “Wahrheit” oder “Gerechtigkeit”, obwohl eigentlich zentral und unabdingbare Voraussetzungen für ein erspriessliches Zusmmenleben, gerade auch zu den gefährlichsten Begriffen gehören, angereichert mit potentiellem Unheil und tiefer Zwietracht. Mir will scheinen, dass solche Verwerfungen gerade auch in zentralen Texten wie der Feldpredigt, wenn auch sehr subtil, keimen. Ich habe mich entschlossen, mich von solchen Themen abzuwenden.

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