Erich Schweizer

Vom barocken Emblem zur Infografik

Die Werbung hat sie schon lange erkannt, die informative und suggestive Kraft, die von der Kombination aus Bild und Wort ausgeht. In einem drastischen Beispiel: Was wird wohl aus einem «normalen» Mann, wenn er das Duschmittel «WunderMann» anwendet (nur echt natürlich mit den trendigen Camel-Caps, den höckerartigen Grossbuchstaben im Wortinnern, die den Anfang einer neuen Stammsilbe markieren)? Die «Raffinesse» dieser Werbestrategie wird auf der Rückseite der Tube fast noch überboten, wenn dort steht – diesmal als reiner Text: «Für Männer von Traumfrauen». Also stürzen sich auch die Traumfrauen auf das Reinigungsmittel, um es Ihrem Traummann zu schenken.
[bild37918rw300]Es geht auch noch eindringlicher. Das Bilderrätsel rechts (falls Sie aus unerfindlichen Gründen kein Bild sehen: Klammer auf, Duschmittel plus Mann, der sich mit einem Deo einsprüht, gleich Frau im Bikini hoch zwei, Klammer zu) beantwortet wohl die Frage: Was wird aus einem Mann, der das richtige Duschmittel verwendet und das richtige Deo? Auf Ihre Antworten bin ich gespannt.

Christliche Emblematik

[bild37916lw300]Die beiden Beispiele sind eine Kurzform dessen, was man heute als Infografik bezeichnet. Dass es dafür eine jahrhundertealte christliche Tradition gibt, ist mir beim Bilderhimmel der Wallfahrtskirche Hergiswald bewusst geworden. Ich stelle mir vor: Der barocke Priester steht auf der Kanzel und erklärt seinem (noch) zahlreich erschienen Publikum Gott und die Welt. Die Embleme der Kirchendecke helfen ihm dabei. Er erklärt die Jungfräulichkeit Marias mit dem Bild des umzäunten Gartens (Hortus conclusus) und zeigt der staunenden Gemeinde die Abbildung eines Paradiesvogels oder des soeben erfundenen Fernrohrs. Die Bilder sind für ihn das richtige Medium, um ein grösstenteils nicht lesekundiges Publikum mit theologischen und weltlichen Belehrungen zu versorgen. Die lateinischen Beschriftungen helfen ihm, die Inhalte der Embleme richtig zuzuordnen.

Infografik

Heute kommt diese Form der Unterweisung in Form von Infografiken zu neuer Blüte. Denn unsere ganze Erfahrungswelt ist multimedial geworden. Ein geschriebener oder gesprochener reiner Text kann nicht mehr mit breiter Aufmerksamkeit rechnen. Zu gross ist die Menge ständig verfügbarer Informationen auf allen möglichen medialen Kanälen. Viele Leute sind nicht mehr willens oder fähig einen längeren zusammenhängenden Text zu lesen und zu verstehen. Die Pendlerzeitungen schaffen es ja schliesslich auch, komplexe Inhalte in wenigen Zeilen darzustellen …
Übersättigungs-, bequemlichkeits- oder abstinenzbedingter Analphabetismus ist zwar eine hinreichende Begründung für den Einsatz von Infografiken, aber nicht die einzige. Tatsächlich lassen sich bestimmte Sachverhalte und Entwicklungen viel verständlicher und einprägsamer vermitteln, wenn Grafik und Textinformation gemischt werden. Welche Funktion haben die einzelnen Gebäude im Vatikan? Wer regiert den Vatikanstaat? Wie funktioniert ein Konklave? Beispiele für die infografische Darstellung von Fakten rund um die letzte Papstwahl liefert http://www.merkur-online.de/aktuelles/welt/-2795994.html.
Also, liebe Redaktorinnen und Redaktoren, bevor ihr uns nächstes Mal einen mehrere tausend Zeichen langen Artikel mit umfangreichem Zahlenmaterial um die Ohren haut, überlegt euch bitte, ob sich dieser komplexe Inhalt nicht auch grafisch aufbereiten lässt. Was, ihr fühlt euch zu wenig kreativ? http://infogr.am hilft euch gerne und erst noch kostenlos.

23. Juni 2013 | 06:25
von Erich Schweizer
Lesezeit: ca. 2 Min.
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