Christen und Christinnen in Kpassa in Ghana tanzen vor einem Kruzifix. Das Leiden von Christus wurde an einem Karfreitag so gefeiert
George Francis Xavier

vicaria substitutio

Was ist der wichtigste Tag für einen Christen? Karfreitag oder Ostersonntag? Das Leiden Christi wird in diesen Tagen in verschiedenen Teilen der Welt stark betont. Eines der wichtigsten Dinge, die ich in der Schweiz lernen musste, war, mehr über Ostern zu sprechen und weniger über den Karfreitag. Als ich Mel Gibsons «Die Passion Christi» in Indien sah, fühlte ich mich mehr zu Jesus hingezogen. Aber hier musste ich akzeptieren, dass dieser Film gewalttätig ist und weder für Kinder noch für einen normalen Menschen gut ist. Es gab eine Veränderung, denke ich. In den Tagen des Krieges und der Hungersnot mögen diese Reflexionen der Passion Christi im Leben der Menschen eine Bedeutung gehabt haben.

 

Die alte Sühnopfer-Theologie verlor ihre Bedeutung. Ich besuchte einen Kreuzweg in einer Kirche. Zu Beginn musste der Pfarrer warnen, dass die Musik und der Text uns eine anspruchsvolle Stunde bieten würden. Der Aspekt des Leidens hat in gewisser Weise seinen Sinn verloren. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin in einer Kultur aufgewachsen, in der meine christlichen Brüdern und Schwestern

Christen und Christinnen in Kpassa in Ghana tanzen vor einem Kruzifix. Das Leiden von Christus wurde so an einem Karfreitag gefeiert | © 2015 Roshy Robert Christen und Christinnen in Kpassa in Ghana tanzen vor einem Kruzifix. Das Leiden von Christus wurde so an einem Karfreitag gefeiert | © 2015 Roshy Robert

bewusst die Passion Christi durchlebten und die Passion Christi feierten. Als ich als Missionar in nichtchristliche Gebiete gesandt wurde, habe ich Exerzitien auf der Grundlage der Passion Christi gemacht. Es ist leicht, mit Christus oder für Christus zu leiden, wenn wir in den meisten Gebieten in Indien arbeiten.

 

Meine Beobachtung ist, dass die Menschen in diesen Missionsbereichen, die unter Armut, Mangel an Entwicklung, Krankheit usw. leiden, ihr Leben in der Theologie des «stellvertretenden Todes Christi» als bedeutungsvoll betrachten. Die Lehre vom stellvertretenden Tod bedeutet, dass Jesus unseren Platz in Schuld und Strafe für die Sünde eingenommen hat (vicaria substitutio). Mit Blick auf das Leiden Jesu fanden sie Trost und nahmen ihr Leiden in ihrem Leben als kleiner als das Leiden Christi, ihres Gottes, hin. Als sie von Jesus lernten, praktizierten sie Taten des Leidens, selbst wenn ihr Leben besser lief. Ich sah, wie Menschen auf den Knien über Kilometer den

Kreuzweg Christi mitgemacht haben. Ich sah Menschen, die barfuss und kniend Berge hinaufgegangen sind und an das Leiden Jesu glaubten. Ich sah Mütter, die sich selbst durchbohrten (piercing) und beteten, dass ihre Kinder vor dem Leiden der Krankheit gerettet werden. (Jetzt ist Bergsteigen ein Sport und Piercing ist eine Mode, genauso wie zerrissene Hosen von armen Leuten zu einem trendigen Stil für Reiche wurden.)

 

Diese exklusive Stellvertretung, bei der die Person in echtem Leid nicht einbezogen wird, wenn die andere bewusst Leiden auf sich nehmen, findet heutzutage eine Veränderung. Drei Jahre zuvor hatten die Mitbrüder in einer der Kapuzinerprovinzen in Indien (von wo ich ursprünglich stamme) beschlossen, die Dokumente zu unterzeichnen, um im Todesfall ihre Organe zu spenden. Und zur Überraschung aller haben einige Mitbrüder begonnen, ihre Nieren für die Bedürftigen zu spenden. Diese Karwoche lässt mich nachdenken, weil einer meiner Kapuzinerkollegen in Indien seine Niere einer armen leidenden Frau schenkte. Er sagte, er beschloss, ihren Schmerz bewusst zu teilen. Ich sehe einen Wechsel von exklusivem Leiden zu einem inklusiven Leiden, bei dem es sich nicht mehr um ein Ersatzleiden, sondern um ein stellvertretendes Leiden handelt, oder  auch einen Solidarakt.

 

Mein Glück ist es, zu wissen, dass Jesus Menschen immer noch dazu inspiriert, für andere zu leben. Alle denken nicht so: «Mein Leben gehört mir! Und ich lebe mich aus, so gut ich kann, und ich will vor allem meinen Spass.»

Der Altarraum im Kloster Weselim, vorbereitet für die Liturgie am Karfreitag| © 2018 GFX Der Altarraum im Kloster Wesemlin, vorbereitet für die Liturgie am Karfreitag| © 2018 GFX

Salz liefert seinen Geschmack durch Auflösung in Wasser; eine Kerze gibt Licht, indem sie ihren Docht verbrennt und ihr Wachs schmilzt. Die Auster produziert durch einen langen und schmerzhaften Prozess eine unbezahlbare Perle. In diesen Jahren habe ich mein Bestes versucht, auf Ostern zu schauen, den Tag, an dem Jesus triumphiert. Aber dieses Jahr glaube ich an einen Jesus, der mich inspiriert, ein Leben für andere zu führen, auch wenn ich keinen Triumph sehe.

 

 

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Christen und Christinnen in Kpassa in Ghana tanzen vor einem Kruzifix. Das Leiden von Christus wurde an einem Karfreitag so gefeiert | © 2015 Roshy Robert
30. März 2018 | 14:44
von George Francis Xavier
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