Taj Mahal. Er ist ein beliebtes Ziel frisch vermählter indischer Eheleute, der Besuch soll die gegenseitige Liebe dauerhaft machen und bestärken
George Francis Xavier

Verliebt-sein

Kann jemand leben, ohne sich in jemanden oder in etwas zu verlieben? (Das kann in einen Menschen sein, in Gott, in die Kunst, in die Musik, in den Sport, in die Formel 1, ins Boxen oder in irgendetwas sein.) Wie die Schweizer sagen: Gegen das Verliebt-sein ist kein Kraut gewachsen. Aber es kommt darauf an, dass ich verantwortungsvoll damit umgehe. Das Verliebt-sein ist daher immer eine Herausforderung an mich, bisher Vernachlässigtes, Lebenswertes zu leben. Der andere hat es hervorgelockt. Jeder Mensch ist mit einer Sehnsucht im Herzen ausgestattet, um irgendwann, in irgendeiner Form, sich dieser Liebe zu öffnen.  «Die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe» so sagt es Johannes. (1. Johannesbrief). Hier wird in einer absoluten Weise von der Liebe gesprochen. Da heisst es nicht, dass wir Gott lieben oder dass Gott uns liebt, sondern dass Gott in sich Liebe ist. Die Liebe ist ohne Objekt. Sie ist einfach da. Das ist auch eine Sehnsucht, die wir alle haben, dass wir einfach Liebe sind. Verliebt-sein ist ein Weg, den Reichtum der eigenen Seele nach und nach zu entfalten.

 

Verliebte Paare sind für ihre Umgebung etwas Erfrischendes und Belebendes. Manchmal beobachte ich aber auch Paare, die sich scheinbar nichts mehr zu sagen haben. Man hat den Eindruck, ihnen sei die Liebe abhandengekommen. Sie sind noch zusammen, aber ihr Miteinander strahlt nichts mehr aus. Ihre Liebe ist alltäglich geworden. – Aber ich sehe auch ältere Paare, die so liebevoll miteinander umgehen, dass ich mich über das Geschenk ihrer Liebe nur freuen kann. Wie gross muss ihre Liebe sein, wenn sie auch im Alter noch glänzt und sie einander so zugewandt sind. Ich spüre ein tiefes Einverständnis. Ein tiefes Einverständnis der Unterschiedlichkeit. Es sind nicht mehr die starken Emotionen von Verliebtsein, sondern der Geschmack einer reif gewordenen Liebe, der mich beeindruckt. Es ist für mich das tragende Geheimnis aus dem Matthäus-Evangelium 18.20: Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!

Taj Mahal. Er ist ein beliebtes Ziel frisch vermählter indischer Eheleute, der Besuch soll die gegenseitige Liebe dauerhaft machen und bestärken | © 2015 GFX Taj Mahal. Er ist ein beliebtes Ziel frisch vermählter indischer Eheleute, der Besuch soll die gegenseitige Liebe dauerhaft machen und bestärken | © 2015 GFX

Jeder Mensch hat seine Erfahrungen mit Liebe. Wie schön ist es dabei, das Wunder der Liebe zu erfahren, wie traurig das Erleben des Scheiterns. In allen Erfahrungen von gelungener und gescheiterter Liebe sehnt sich der Mensch nach wahrer Liebe, nach einer Liebe, die als Gegenüber nicht verletzt und zerstört, sondern belebt und aufbaut; ein Gegenüber, das nicht kontrolliert und einengt, sondern freilässt und einen weiten Raum zum Leben öffnet. Offensichtlich ist die Liebe eine der stärksten Kräfte im Menschen, eine Kraft, an der niemand vorbeigehen kann, und die einen Menschen verändern kann. Im Alten Testament begegnen wir Jacob, der als Verräter seinen Bruder getäuscht hat. Aber was ihn letztlich gross macht, ist seine Liebe zu Rachel. Er arbeitete während sieben Jahren hart, wie ein Sklave, für ihren Vater und dann nochmals weitere sieben Jahre, noch intensiver, noch härter, alles für die Liebe zu Rachel. Seine Liebe zu Rachel war so anhaltend, so stark, dass er sich schrecklich während 14 Jahren abmühte.

 

Endlich lebt er bei Rachel. Er steht in den Erzählungen des Alten Testaments jetzt nicht mehr im Licht eines Verräters, sondern er erhält ansehen als Favorit aller Patriarchen. Liebe erhellt alles, Liebe baut neue Oasen auf. Die Vergangenheit wird mit der Liebe in eine neue Zukunft ausgerichtet. Im Lukas Evangelium sagt Jesus zum Wirt und zum Pharisäer, als eine (sündige) Frau seine Füsse mit ihren Tränen und dem kostbaren Öl wusch, und seine Füsse küsste: «Ich sage dir: Ihre grosse Schuld ist ihr vergeben; sonst hätte sie mir nicht so viel Liebe zeigen können. Wem wenig vergeben wird, der liebt auch wenig.»  Johannes erzählt die gleiche Geschichte in seinem Evangelium (12.3) und ergänzt mit diesem einen Satz: «Der Duft des Öls erfüllte das ganze Haus.» Die Liebe hält nicht alles von uns zurück, sondern gibt alles zu Füssen desjenigen den wir lieben. Dort wo wir also unser eigenes Ölfass des ‹Uns sein’ öffnen – und dem, den wir lieben, vollkommen geben, füllen wir den Raum mit dem Duft der Liebe.

 

Obwohl vieles über die Liebe in der Bibel geschrieben ist, erwähne ich speziell was Salomon geschrieben hat im «Hohen Lied». In Englischer Sprache heisst es ‹ song of songs’. ‹Lied’ aller ‹Lieder’. Dort heisst es «Liebe ist lieblicher als Wein», «Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.»

 

Der Wein als lebensfrohes Getränk, ist in der Eucharistie ein Bild für die Liebe Jesu Christi. Menschen die sich mögen, geniessen gemeinsam Wein, sei es bei einem Fest oder für eine gemütliche Runde. Es ist ganz besonders schön anzusehen, wenn liebende zusammensitzen und Wein trinken. Das Gefühl der Liebe verzaubert ihre Herzen – oftmals auch dasjenige des stillen Zuschauers. Der Wein verstärkt diese Verzauberung. Er erfüllt die Herzen mit einem wohligen Gefühl, mit dem gleichen Gefühl, das auch die Liebe in uns erzeugt und weiterträgt. Es ist ein Gefühl des Getragen-seins, des Erhobenseins in eine andere Dimension und dieses Gefühl ist – stärker als der Tod».

 

Hermann Hesse schreibt dazu:

 

Man kann alles auf der Welt

nachahmen und fälschen,

nur die Liebe nicht.

Liebe kann man nicht stehlen,

nicht nachahmen:

sie wohnt nur in dem Herzen,

das sich ganz zu geben weiss.

Das ist die Quelle der Kunst.

Taj Mahal. Er ist ein beliebtes Ziel frisch vermählter indischer Eheleute, der Besuch soll die gegenseitige Liebe dauerhaft machen und bestärken | © 2015 GFX
19. November 2016 | 22:45
von George Francis Xavier
Lesezeit: ca. 3 Min.
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