Heinz Angehrn

Unfug im Quadrat

Das Kind samt dem Bade ausschütten – das war noch nie eine adäquate Idee, um Probleme, zum Beispiel die Tatsache, dass das zu badende Kind erheblich schmutzig war, zu lösen. Aber genau das tut der laut schreiend-moralisierende Mainstream, der durch die Kulturlandschaft, durch die geisteswissenschaftlichen Fakultäten und auch durch gewisse Feuilletons weht und wütet. Der hier Schreibende kann nicht anders als der Minderheit, die sich gegen die neuen absolutistischen Dogmen wehrt, zuzustimmen, auch wenn ihm manche ihrer Vertreter/innen einigermassen dubios erscheinen…

Ich möchte mich in Zukunft hier noch intensiver über dieses Thema auslassen, auch anhand der neuen moralisch-religiösen Dogmen, die da geschaffen wurden. Ich möchte auch gerne aufzeigen, dass Poppers «Feinde der offenen Gesellschaft» an ganz anderen Orten hocken können, als man gemeinhin vermutet. Doch heute nur ganz harmlose Beispiele anhand der Weltliteratur:

Lady Agatha Christie gab einem ihrer besten Krimis bekanntlich den Titel «Ten little niggers». Der Titel ist bewusst gewählt, denn im einsam auf einer Insel gelegenen Herrenhaus, in dem ein raffinierter Rache-Mörder zehn Menschen umbringt, die ihrerseits ungesühnt gemordet haben, steht eine Tischdekoration mit zehn kleinen Eingeborenenfiguren, von denen nach jedem Mord eine verschwindet. Diese Figuren gaben dem Roman den Titel. Dass er durch «Ten little indians» ersetzt wurde, machte die Sache nicht besser. Dann kam es zum langweiligen «And then there were none». Warum beim besten Willen kann man nicht Titel und Plot genau so stehen lassen? Als Lady Agathas bestverkaufter Krimi 1939 erschien, war das Wort «nigger» so unbedenklich wie auch noch 25 Jahre später in Martin Luther Kings Rede.

Wenn man diese berüchtigte Korrektheit nun nicht nur auf den Titel, sondern auf den Inhalt anwendet, dann dürfte Shakespeares «Mohr von Venedig», Othello, weder als Tragödie (1604) noch als Oper (G.Verdi, 1887) mehr aufgeführt werden. Denn Othello ist und bleibt ein Mohr, ein Schwarzer, und genau darum geht es Shakespeare ja, wenn er ihm diese Mischung von Minderwertigkeitsgefühl und Aggressivität zuschreibt. Und dass die Sache ästhetisch-logisch dann am tollsten ist, wenn man Desdemona als blonden Unschuldsengel durch die Szene irren und sich erwürgen lässt, ergibt sich von selbst.

Warum ihr moralisierenden Spassverderber/innen:
– gesteht Ihr nicht den Lesenden/Zuschauenden zu, dass jede/r selber (be)denken und zuordnen kann?
– nehmt Ihr der Sprache ihre Faszination, wenn Ihr sie durch die Mangel einer rotgrünen Juristerei drehen wollt?
– zerstört Ihr willentlich wertvolles Kulturgut?

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27. August 2020 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 1 Min.
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6 Gedanken zu „Unfug im Quadrat

  • stadler karl sagt:

    Oder von Mark Twain “Die Abenteuer des Huckleberry Finn”. Auch an diesem sehr schönen Literaturstück müssten, wenn es nach den selbsternannten Hütern der Moral ginge, einige verbale Justierungen vorgenommen werden. Es gibt kaum eine naivere Vorstellung, als durch einen Zwang zu sprachlicher Korrektheit würde unsere Fähigkeit zu zwischenmenschlichem Respekt auch nur um Haaresbreite angehoben. Es ist Ihnen völlig zuzusimmen: Es handelt sich um einen Trend, der mehr von Unsinn zeugt denn von anthropologischem linguistischem Verständnis. Und wenn man solche Kritik äussert, bedeutet dies in keiner Weise, dass man spachliche, herabsetzende Respektlosigkeiten verharmlosen würde.

  • Michael Bamberger sagt:

    Mark Twain hätte Euch beiden sicherlich zugestimmt, denn er schrieb:

    “I am quite sure that I have no race prejudices, and I think I have no colour prejudices nor caste prejudices nor creed prejudices. All that I care to know is that a man is a human being, that is enough for me; he can’t be any worse.” (Mark Twain, a Biography volume II Part 2 1886-1900)

  • Gregor Scherzinger sagt:

    Lieber Heinz
    Irgendwas stört mich an deinen Zeilen. Vielleicht weil sie mir zu polemisch daherkommen, und dort wo es wirklich spannend würde, nur Andeutungen machen: wie schaffen es denn Shakespeare, Twain oder Christie den Begriff „Neger“ zu gebrauchen ohne den mit ihm unmittelbar verbundenen rassistischen und eurozentristischen Stereotypen zu verfallen, oder wie durchbrechen sie gerade diesen weitverbreiteten Sprachgebrauch in ihrer Kunst? Das wäre m. E. interessanter und zielführender als mit Farben um sich werfende Polemik, und da hast Du sicherlich viel zu bieten!
    Warte gespannt auf Weiteres!

  • Thomas Markus Meier sagt:

    So ganz einfach ist es eben nicht.
    Wenn Max Frisch vor eine Vierteljahrhundert von “Negermusik” sprach, hatte das einen anderen Klang als heute.
    Sprache ändert sich.
    Sollte es um die “Mohrenköpfe” gehen? Für manche ginge mit de Verschwinden mancher Wörter grad das ganze christliche Abendland mit unter.
    Nun, ich kenne den Greis, der dieses Elaborat verfasst hat. Er meint es kaum böse.
    (Elaborat, nicht, wie üblich, abschätzig gemeint, kann bildungssprachlich einfach für ein schriftliches Werk stehen (scil: blog)…
    Und mit Greis töne ich an, dass der Blogger das Pensionsalter erreicht hat.
    Sprich: heute tönt Greis eben mehr nach senil als nach Senior.
    War früher ein “Fräulein” noch (nicht moralisierender) mainstream, so landete das Wort quasi auf dem Wortfriedhof.
    Wer spricht heute noch von “Weib”? Kurzum: Sprache ändert sich.)
    Und darum sind für mich die “Mohrenköpfe” eine andere Kategorie als Literaturzitate.
    Es waren afroamerikansiche Literaturprofessoren, die zurecht mahnten, den Nigger nicht aus Huckleberry Finn zu streichen.
    Das Buch übrigens, das nach Onkel Toms Hütte am meisten gegen Skalverei und Rassimus bewirkte.
    Aber etwas anderes wäre es zu sagen, ja dieser Nigger hat recht.

  • Thomas Markus Meier sagt:

    So ganz einfach ist es eben nicht.
    Wenn Max Frisch vor eine Vierteljahrhundert von “Negermusik” sprach, hatte das einen anderen Klang als heute.
    Sprache ändert sich.
    Sollte es um die gehen? Für manche ginge mit de Verschwinden mancher Wörter grad das ganze christliche Abendland mit unter.
    Nun, ich kenne den Greis, der dieses Elaborat verfasst hat. Er meint es kaum böse.
    (Elaborat, nicht, wie üblich, abschätzig gemeint, kann bildungssprachlich einfach für ein schriftliches Werk stehen (scil: blog)…
    Und mit Greis töne ich an, dass der Blogger das Pensionsalter erreicht hat.
    Sprich: heute tönt Greis eben mehr nach senil als nach Senior.
    War früher ein noch (nicht moralisierender) mainstream, so landete das Wort quasi auf dem Wortfriedhof.
    Wer spricht heute noch von ? Kurzum: Sprache ändert sich.)
    Und darum sind für mich die eine andere Kategorie als Literaturzitate.
    Es waren afroamerikansiche Literaturprofessoren, die zurecht mahnten, den Nigger nicht aus Huckleberry Finn zu streichen.
    Das Buch übrigens, das nach Onkel Toms Hütte am meisten gegen Skalverei und Rassimus bewirkte.
    Aber etwas anderes wäre es zu sagen, ja dieser Nigger hat recht.

  • Heinz Angehrn sagt:

    “Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht!
    Ganz ohne Sonne blüht die Rose nicht!
    Drum hie und da, so einmal noch –
    Da küß ich doch! Da küß ich doch!

    Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht
    Ganz ohne Sonne blüht die Rose nicht!
    Drum will ich nichts verschwören,
    Will, Mädels, euch gehören! –
    Schuft, wer sein Wort jetzt noch bricht!

    Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht!
    Ganz ohne Sonne blüht die Rose nicht!”

    Emmerich (Imre!!, auch schon rassistisch!!) Kalman, “Die Csardasfürstin”
    Text des Librettos, Uraufführung in Wien 1915
    Premiere in Zürich am 25.September
    Sic! Solches hören Greise gern.

    Sic!

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