Bettina Flick

Und es regnete Zwiebeln – zweiter «Tag des Zorns» in Palästina

Zweiter Tag des Zorns in Hebron

Ich bin zur Zeit in einem Menschenrechtseinsatz in Hebron. Am Freitag, zweiter «Tag des Zorns», konnte ich hautnah die Demonstration in Hebron miterleben:

Eine unserer beratenden Personen vor Ort hatte uns gesagt, dass die Demonstration in Hebron am Fussballstadium friedlich starten würde und ab wann man damit rechnen müsse, dass israelische Soldaten eingreifen würden. Er nannte uns auch den Punkt, an dem wir umkehren müssten, aber bis dahin könnten wir gefahrlos die Demo beobachten. Wir kamen kurz nach Ende des Freitagsgebetes an das Fussballstadium und sahen vor uns Hunderte von Menschen friedlich in Richtung Innenstadt laufen. Auch ältere Menschen und Männer mit kleineren Kindern waren dabei. Hinten lief eine ganze Gruppe Frauen. Als Abschluss fuhr eine Ambulanz des Roten Halbmondes. Viele hatten die palästinensische Flagge oder auch die Fahne der Palästinenserpartei Fatah dabei. Es war alles friedlich und ruhig.

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Wir waren noch nicht an den Ort gekommen, an dem wir umkehren sollten, als plötzlich ein grosser Knall hörbar war. Sofort zogen sich die älteren Menschen und die Familien zurück, wir gingen in eine Seitenstrasse, hörten Gewehrfeuer und sahen Menschen zurückrennen. Palästinenser, die in unserer Nähe standen, zeigten auf einen kleinen Weg und mit ihnen eilten wir dorthin. Es stellte sich als ein Zugang zu einem Haus heraus, das in der Nähe der Hauptstrasse lag. Dort hatten wir einen guten, geschützten Standort und konnten das Geschehen aus der Ferne weiterverfolgen. Da regnete es unvermittelt Zwiebeln auf uns herab: Eine Frau aus dem Haus warf alle ihre Zwiebelvorräte zu uns. Zwiebeln sind ein gutes Mittel gegen Tränengas. So standen wir nun da, alle mit einer Zwiebel in der Hand, und warteten, wie es weitergehen würde. Fünf israelische Militärwägen, teilweise gepanzert, rasten nun die Hauptstrasse hinauf in eine Richtung, in der normalerweise keine israelischen Soldaten zu finden sind, weil dieser Stadtteil unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde steht. Wir duckten uns hinter der Mauer, falls Tränengasgranaten geschossen werden würden, aber wir hatten Glück. Bald darauf kamen die Militärautos wieder zurück. Danach kehrte Ruhe ein, es fuhren wieder Autos auf der Hauptstrasse, alles schien normal. Die Männer, die mit uns beim Haus gewartet hatten, gingen wieder zurück. Gerade, als auch wir wieder zurückgehen wollten, brachte uns eine Frau Limonade. Miteinander sprechen konnten wir nicht und sie zog sich auch sofort wieder ins Haus zurück. So standen wir da mit einer Zwiebel und einem Glas Limonade in der Hand – und spürten, wie sehr die Menschen unsere Anwesenheit und Solidarität schätzen.

Nachdenklich gingen wir nach Hause.

Die Demonstration hatte so friedlich begonnen. Aus dem Ruder gelaufen war sie erst, als das israelische Militär eingriff. Die allermeisten Menschen auf der Strasse wollten keine Gewalt, sie wollten ihre Betroffenheit, ihren Zorn zeigen, wollten zeigen, dass es sie gibt und sie nicht einverstanden sind, wenn über Jerusalem verfügt wird, als gehöre die Stadt nur zu Israel. Ja, es gab sie, die Steinwerfer, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich eine Strassenschlacht lieferten mit dem Militär – mit sehr ungleichen Waffen – tatsächlich David mit den Steinen gegen den Goliath des israelischen Militärs, mit allen Möglichkeiten ausgerüstet.

Aber zu sagen, dass die Menschen, die hier demonstrieren, gewalttätig seien, wäre etwa so, wie wenn man behaupten würde, dass jeder, der in ein Fussballstadium geht, ein Hooligan wäre.

Ich wurde von HEKS-EPER und Peace Watch Switzerland als Ökumenische Begleiterin nach Palästina und Israel gesendet, wo ich am Ökumenischen Begleitprogramm (EAPPI) des Weltkirchenrates teilnehme. Die in diesem Artikel vertretene Meinung ist persönlich und deckt sich nicht zwingend mit denjenigen der Sendeorganisationen. Falls Sie Teile daraus verwenden oder den Text weitersenden möchten, kontaktieren Sie bitte zuerst Peace Watch Switzerland unter eappi@peacewatch.ch.

Bildquellen

  • Demonstration in Hebron | © Bettina Flick: Bildrechte beim Autor
Demonstration in Hebron | © Bettina Flick
9. Dezember 2017 | 12:20
von Bettina Flick
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