Br. Paul Tobler

Tempel oder Stall?

In unserem Klostergebäude ist ein Teil des örtlichen Altersheimes einquartiert. Während das Altersheim renoviert wird, finden hier 25 Pensionäre für knapp zwei Jahre Unterkunft. Eine interessante, schöne und manchmal lustige Situation. Man begegnet sich auf den Gängen, grüsst sich freundlich, wechselt ein paar Worte. Einzelne gemeinsame Anlässe, wie 1. August- oder Weihnachtsfeier, waren schöne Ereignisse.
Viele der Bewohner sind sehr gläubige Leute. Nachdem sie es anfänglich vielleicht nicht für möglich hielten, dass sie für eine Weile bei den «Paders» im Kloster Quartier bekommen würden, ist es für sie nun eine Freude, so nahe an den religiösen Angeboten und der «Nossadunna» Maria zu sein. Und so findet jeden Samstag in der Marienkirche eine Pilgermesse statt. Ideal fürs Altersheim, gut besucht vom Dorf.
Ziemlich unkompliziert entstand auch bald ein tägliches romanisches Rosenkranzgebet. Gut 15 Senioren sowie drei Brüder sind treu dabei. Teilweise schon geraume Zeit vor Beginn begeben sich die Teilnehmer in die kleine Hauskapelle. Eindrücklich, mit was für einer Innigkeit, Konzentration und Kraft sie beten. Einige können nicht mehr gut sprechen, aber sie sind spürbar dabei, es tut der Andacht keinen Abbruch. Unterschiedliche Anliegen werden zu Beginn ins gemeinsame Gebet hineingelegt. Und eine grosse Freude, wenn von Zeit zu Zeit von Gebetserhörungen berichtet werden kann. Am Schluss spendet der 92-jährige Pater Basil den Segen, gefolgt von einem kräftigen Gesang.
Vor einiger Zeit geschah es, dass nur eine der zwei rüstigen 91- und 95-jährigen Vorbeterinnen erschien. Was nun? Früher habe sie oft vorgebetet, erzählte sie mir. Aber jetzt, allein, mache sie das etwas nervös. Doch alles verlief tiptop. Bis wir zum letzten Geheimnis des freudenreichen Rosenkranzes kamen: zur Betrachtung des jungen Jesus, der in der Wallfahrtsgruppe von Maria und Josef vermisst, tagelang gesucht und im Jerusalemer Tempel wiedergefunden wurde. Die Vorbeterin kündigte das betrachtete Ereignis an: «Jesus, den du, o Jungfrau, wiedergefunden hast … im kalten Stall von Betlehem.» Ein Zeitsprung im Leben Jesu… Die Gruppe nahm es gelassen. Und die Nossadunna wird gewusst haben, welches Ereignis in ihrem Leben wir meinten. Es kam von Herzen.

7. Juni 2013 | 14:38
von Br. Paul Tobler
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