Christian Kelter

Streit ist geil! Ein Zwischenruf aus Zug.

Zwischen den Luzerner Pfarreien und Bischof Felix sei es zum Streit gekommen, lese ich auf kath.ch. Es geht um Weihnachten. Wie geil ist das denn! Jetzt wird über Wesentliches gesprochen! Könnte sein, es geht hier nicht nur um Weihnachten. Könnte sein, das Thema hätte Potential.

Da möchte man also in Luzern in der Heiligen Nacht auf Eucharistiefeiern verzichten. Die Pfarreien setzten gezielt auf alternative Angebote. Am Weihnachtstag gäb’s dafür aber mehr Eucharistiefeiern als sonst. So weit, so gut. Mixed Economy nennt man das in England – auch in der Kirche.

Beeindruckt von Corona denke man bloss «von den Schwierigkeiten her», kritisiert aber Bischof Felix. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: «Ja, Kunststück!» Man müsste als Pfarreileitung schon äusserst abgelöscht sein, um nicht täglich vom Hin und Her in der Corona-Debatte durchgeschüttelt zu werden. Ich wette, im Ordinariat ist das nicht anders. Erfolgreiche Pastoral orientiert sich eben am Kontext. Sie stellt sich der Realität. Sonst wird alles nichts.

Andersherum hat Bischof Felix ja auch Recht. Jetzt wäre Zeit, mal völlig anders zu denken. Aber wie? «Wir müssen von den Gläubigen her denken», schlägt der Bischof vor. Ich meine: «Jein».

Sollten wir nicht zuerst von Weihnachten her denken? Und fragen: Was ist das Wichtigste an Weihnachten? Was darf auf keinen Fall fehlen? Was muss in jedem Fall geschehen, Corona hin oder her?

In den biblischen Texten im Advent und an Weihnachten entdecke ich: Verkündigung ist das Wichtigste an Weihnachten! Dem Volk, das im Dunklen wohnt, Maria im stillen Kämmerlein, den Hirten auf dem Feld – allen wird verkündigt: «Du wirst ein Licht sehen! Gott wird durch dich Mensch! Dir ist der Retter geboren!» Das ist die Botschaft!

Dieser Retter wird später einmal den Auftrag erteilen: «Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet die Frohe Botschaft!» (Mk 16,15). Das ist der Job! Und die «ganze Welt» ist die Dimension, in der gedacht und agiert werden muss! Sorry, aber kleiner geht es für Jesus offensichtlich nicht! An Weihnachten nur an die zu denken, die eh schon glauben, wäre also definitiv zu wenig.  

«Von den Gläubigen her denken» ist ja auch ganz gut. Das wäre sicher ein guter Vorsatz für die Bischofskonferenz im neuen Jahr. Das könnte man doch mal riskieren: Von den Gläubigen her zu denken. Aber jetzt geht’s gerade um mehr! Mindestens an Weihnachten muss auch an andere gedacht werden. An die religiös Indifferenten und an die Konfessionslosen. An die von der Amtskirche Enttäuschten und Verseuchten. An die klerikal Vergifteten und an die an Leib und Seele Verletzten. Schlicht an alle! Auch und vielleicht gerade an die, die von der «Business-as-usual-Kirche» und der «Bei-uns- bleibt-alles-gleich-Kirche», nichts mehr erwarten.

Plötzlich ist jetzt nämlich doch eine ganze Menge anders. Plötzlich hätten wir die Chance, als Glaubensgemeinschaft mal so richtig positiv zu überraschen. Wir, die wir ja dauernd von Mission reden, von Evangelisierung und davon, «den Glauben ins Spiel zu bringen». Wann wollen wir das denn tun, wenn nicht jetzt? Jetzt sind alle sensibel. Jetzt sind alle offen. Jetzt sind alle hungrig nach einer Frohen Botschaft. Was damals die Propheten und Engel taten, sollen jetzt wir tun. Es allen sagen: «Gott kommt ins Fleisch! Gott kommt in die Welt! So traurig und so einsam, so verpfuscht und so krank kann dein Leben gar nicht, – kann kein einziges Leben jemals – sein, als dass Gott nicht die Sehnsucht hätte, da hinein zu kommen.»

Das braucht jetzt unsere ganze Energie! Weil es jetzt gesagt werden muss! Und eben nicht nur einigen wenigen, so wie wir es halt immer tun und wie wir es am liebsten machen, routiniert und in liturgischer Höchstform. Es muss allen verkündet werden – immer und überall. An allen Orten und zu jeder Zeit und mit allen erdenklichen Mitteln. Mixed economy halt!

Wie das sinnvoll geht, im jeweiligen Kontext, am konkreten Ort, das wird sehr unterschiedlich sein. Das wissen eigentlich nur die Menschen, die sich auch sonst, an den anderen 363 Tagen, mit diesen Fragen befassen. «Mind the Gap», sagt der Engländer. Und meint damit: «Vorsicht vor Schüssen aus der Distanz.»

Es braucht eben ein Gespür für die richtigen Orte und Zeiten. Es braucht Strukturen und gute Konzepte. Es braucht vor allem geistreiche, mutige Frauen und Männer. In Luzern ist das anscheinend vorhanden. Welch ein Segen!

Daneben und vor allem dahinter braucht es auch Vorgesetzte, die Freiheit lassen. Vorgesetzte, die sich als Ermöglicher verstehen. Vorgesetzte, die Experimente zulassen im Wissen, dass eine Organisation ohne eine gute Fehlerkultur nie wachsen wird. Als solchen Vorgesetzten kenne ich Bischof Felix. Gott sei Dank!

Tja, nun ist der Streit anscheinend schon vorbei. Das ging (zu) schnell. Das finde ich schade. Ich hätte mir mehr Streit gewünscht. Auf einander hören, mal etwas so stehen lassen, gemeinsam abwägen. Es lebe die Streitkultur! Heiner Wilmer, der Bischof von Hildesheim, formuliert es so: «Mir fehlt diese Streitkultur an vielen Orten. Sie ist mehr Kultur als Streit. Freude am Anderen und am Miteinander. Und sie ist nicht selten der Anfang von Veränderung zum Guten hin. In jeder Form (…) auch in der Kirche.» Ich persönlich fänd’s geil!

16. Dezember 2020 | 19:29
von Christian Kelter
Lesezeit: ca. 3 Min.
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