Br. Paul Tobler

Still sein beim Essen

Normalerweise wird bei uns während den Mahlzeiten nicht gesprochen. Das hängt nicht mit einer besonderen Anstandsregel zusammen, sondern damit, dass etwas vorgelesen wird: Ein Mitbruder sitzt in einer Nische, mit Lesepult und Mikrofon, und liest für die Anderen aus einem Buch oder Artikel vor. «Beim Tisch der Brüder darf die Lesung nicht fehlen» (Benediktsregel 38,1).
Die Abendlektüre handelt in der Regel von einem religiösen Thema. Zur Zeit: «Christus oder Hitler? Das Leben des seligen Franz Jägerstätters» (Cesare Zucconi, Echter, 2011), über den jungen österreichischen Bauern Jägerstätter, der im zweiten Weltkrieg den Militärdienst verweigerte. Am Mittag behandelt die Lektüre mal ein Thema aus der Geschichte, mal eines aus Gesellschaft, Politik oder Wirtschaft. Zur Zeit: «Nelson Mandela. Eine Geschichte vom Triumph der Menschlichkeit» (John Carlin, Herder, 2008), über die Versöhnung von Schwarzen und Weissen in Südafrika. Umrahmt werden die Lesungen von Passagen aus Bibel und Benediktsregel.
Mir gefällt diese Gewohnheit gut. Ergänzt durch weitere Lesungen in der Liturgie hören wir täglich viele spannende, anregende und geistlich erbauende Texte. Das ergänzt gut unseren Auftrag zum «lege», zur persönlichen geistlichen Lesung, nebst «ora» und «labora», finde ich. Und zuhören ist spürbar anders als selber reden: Man verbleibt stärker in der Schweigsamkeit, die dem Hl. Benedikt wichtig war, und die dem Gebet und dem Hören auf Gott dient. Zum Reden bleiben genügend Momente im Klosteralltag.
«Am Sonntag tritt einer als Leser den Dienst für die ganze Woche an.» (RB 38,1). Alles ist bei Tisch gut organisiert, von der Sitzordnung übers gemeinsame Tischgebet bis zur Art und Weise des Weitergebens der Platten mit den Speisen. Einfach und klar muss es ja schliesslich sein, wenn es ohne Worte gut funktionieren soll. Für Gäste ist es zu Beginn manchmal etwas ein Schreck, man will ja schliesslich nichts falsch machen, nach einer Weile dann aber oft eine Wohltat.
Falls der Tischnachbar ein Klostergast ist, muss man als Mönch mit der wortlosen Kommunikation etwas aufpassen: Der Gast könnte erschrecken oder zumindest verdutzt sein, wenn ich ihm mein Messer entgegenstrecke. Der Fortgeschrittene weiss: Dies ist die wortlose Bitte, mir das Brot zu reichen.

15. Juli 2013 | 10:02
von Br. Paul Tobler
Lesezeit: ca. 1 Min.
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