Konzilsblogteam

«Sie können zu Recht verschiedene Meinungen haben» (GS 74)

Dieser kleine Satz in «Gaudium et spes» im Abschnitt über die Politik ist eine Revolution. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil beanspruchte die Kirche eine Deutungshoheit über alle Lebensbereiche, also auch über die Politik. Das äusserte sich dahingehend, dass Priester wie etwa der prägende Johannes Mösch, 1901–1929 Pfarrer im solothurnischen Oberdorf und danach residierender Domherr und bis zu seinem Tode 1955 Dompropst, sich enorm dafür einsetzten, dass die öffentliche Schule christlich geprägt ist und die Stimmfähigen die «richtige», d.h. die katholisch geprägte Konservative Volkspartei wählten. Und die klügeren Pfarrer waren dabei durchaus erfolgreich.
Mit «Gaudium et spes» ist die politische Meinung eines Katholiken oder einer Katholikin definitiv nicht mehr an eine Partei gebunden, sondern man kann in vielem in guten Treuen verschiedener Meinung sein, Hauptsache ist, aus christlicher Sicht, dass die politische Meinung und Betätigung dem Gemeinwohl dient.
Christlich geprägte Parteien gibt es in der Schweiz bis heute, aber mit relativ grossen Schwierigkeiten. Das frühere wichtige Reservoir der kirchlich Engagierten wird kleiner, und die Berufung auf christliche Werte wird etwa von der Schweizer CVP nicht besonders gepflegt, obwohl das ein gutes Alleinstellungsmerkmal wäre.
Nach den Parlamentswahlen vom 18.Oktober veröffentlichte die «Schweiz am Sonntag» am 25. Oktober 2015 eine Karte aus dem Jahre 1979 und eine des Jahres 2015 mit Angabe der in jedem Kanton jeweils stärksten Partei. 1979 war die CVP in allen ehemals katholischen Kantonen noch führend, 2015 einzig noch im Wallis, in Appenzell-Innerhoden und im Jura. 2015 ist die SVP die grosse Gewinnerin.
Schon 2005 äusserte sich Weihbischof Peter Henrici sehr deutlich zur SVP, die nun das politische Feld ordentlich dominiert: «Ich bin der Meinung, dass die SVP die einzige Partei ist, die ein guter Christ nicht wählen kann.» Seine Begründung: Die Flüchtlings-, Asyl- und Ausländerpolitik der SVP sei geprägt von einer absoluten Fremdenfeindlichkeit und deshalb zutiefst unchristlich.
Ob diese Einschätzung nicht noch heute bedenkenswert ist oder heute angesichts des Flüchtlingselends noch weit mehr als 2005?
(ufw)

5. November 2015 | 00:09
von Konzilsblogteam
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