Heinz Angehrn

Amtsgeheimnis – Secretum pontificium

Im Gefolge der Wirren um die Churer (Nicht)Wahl und die unzähligen Beiträge dazu hier im Medium kath.ch, aber auch etwa in der NZZ, schiebe ich nun in gebührendem Abstand meine Weihnachtsbetrachtung zum Thema nach, um das es in diesem casus eben auch ging.

Undifferenziert gesagt geht es um diese Frage: Soll alles publiziert werden und an die Öffentlichkeit gelangen, was in innersten Zirkeln der (politischen, kirchlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen) Macht diskutiert wird, was an Argumenten ausgetauscht wird und was an Kontroversen in diesen Diskussionen aufschien? Besteht gar ein Recht auf absolute Öffentlichkeit?
Etwa die Sitzungen der Regierung: Ist es wirklich gut bzw. nötig, wenn das ganze Land nicht nur erfährt, wie der Bundesrat entschieden hat, sondern welche Ausgangspositionen im Gremium vorhanden waren, welche Zusatzberichte die Departemente eingereicht hatten, und in welcher Konstellation der Entscheid dann schliesslich fiel?
(In den letzten Monaten etwa tauchten bereits vorgängig der Bundesratssitzungen immer wieder Indiskretionen zum Thema Covid und Covid-Massnahmen auf. Und im Nachgang erfuhr man häufig, welche Bundesräte wie abgestimmt hatten. Folge war etwa erst kürzlich, dass Monsieur Berset höchstpersönlich vorgängig und öffentlich schon Mutmassungen äusserte…)

Nun existiert in der katholischen Kirche auch eine Art Amtsgeheimnis, das secretum pontificium. Man erlaube, dass ich zunächst die Definition liefere:
Als päpstliches Geheimnis (secretum pontificium) wird eine Schutzmaßnahme innerhalb der Kirche bezeichnet, der bestimmte Vorgänge mit strenger Geheimhaltungspflicht unterliegen (sub secreto pontificio). Sie wird angewandt zum Beispiel bei der Vorbereitung von Kardinals- und Bischofsernennungen, bei der Erstellung wichtiger Dokumente und bei Vorgängen im Bereich der Glaubenskongregation, die den Schutz des Glaubens und das Bussakrament betreffen. Sowohl der Papst als auch die Präfekten und päpstliche Gesandte können Vorgänge unter den Schutz des secretum pontificium stellen.

(Wer sich noch für viel mehr Kirchenrecht interessiert, lese den Vortrag, den der verstorbene Prälat – einst wohl auch als Huonder-Nachfolger aufgebaut – Stephan Stocker am 3.März 2008 vor dem Churer Domkapitel hielt, dokumentiert in der SKZ 31-32/2008, S.508-522)

Kommen wir nun zum (Deutschschweizer) System der Bischofswahl und Bischofsernennung. Diese «strenge Geheimhaltungspflicht» betrifft einerseits das Verfahren, während dem die Nuntiatur sich nach fähigen Kandidaten erkundigt, wie den gesamten Ablauf allfälliger Wahlen, sie betrifft also innerkirchliche (Domkapitel) wie staatskirchenrechtliche Gremien, die in das Prozedere einbezogen werden müssen.
Praktisch nie in den letzten Jahrzehnten hielten sich diese Gremien an das secretum. So erfuhr man etwa 1994 aus dem Bistum Basel, welcher Kandidat durch welchen Standesherren diskreditiert wurde, so erfuhr man 2006 in St.Gallen, welche Kandidaten auf der Sechserliste gestanden hatten, und im Bistum Chur erfuhr man sowohl 2007 wie 2020 fast alles Spannende, Namen, Abstimmungsergebnis, ja sogar Inhaltliches. Natürlich liegt in jedem dieser Fälle ein ethisches Fehlverhalten eines oder mehrerer Involvierter vor. Doch sehe ich schon noch Unterschiede: Wenn in St.Gallen ein Kirchenparlament mit 180 Mitgliedern die Namen auf der Liste erfährt, und die Journalisten nach der bekannt gemachten Sitzung vor den Türen auf News lauern, ist doch höchst fraglich, ob wirklich alle 180 dicht halten. Dass aber ein geschlossenes Gremium wie ein Domkapitel (BS, CH, SG) oder eine Diözesankonferenz (BS), das sich aus lauter ehrbaren und verantwortungsbewussten Menschen zusammensetzen sollte, nicht dicht ist und alle möglichen Interna nach aussen weitergibt, befremdet mich. (Natürlich, liebe Churer, lässt sich auch fragen, warum beim besten Willen Ihr auch noch ein Protokoll der Verhandlung erstellen und versenden lässt!)

Gerade auch weil der erst kürzlich erfolgte bewusste Verzicht des Vatikans auf das secretum bei Missbrauchsfällen (am 17.12.2019 durch Papst Franziskus) dessen Seriosität stärkte, kann schon gefragt werden, wem nun gedient ist, wenn die ganze Welt erfährt, welche Schwächen und Mängel die auf einer Liste Vorgeschlagenen haben mögen. (Zumal etwa der Vorgang 1994 aufzeigte, dass auch bösartige Intrigen im Spiel sein können.)


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  • top-secret-1726360_1920: pixabay.com CCO
22. Dezember 2020 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 2 Min.
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4 Gedanken zu „Amtsgeheimnis – Secretum pontificium

  • stadler karl sagt:

    Dass ein Nuntius, solange das Verfahren so geregelt ist, bei der Recherche von möglichen Kandidaturen diskret verfahren sollte und muss, stört vermutlich kaum jemanden. Hingegen erscheint nicht zwingend, warum die schliesslich zusammengestellte Kandiaten-Liste, die er dann nach Rom schickt, nicht bereits offiziell den Seelsorgenden und dem Volk bekannt gegeben werden dürfte? Die Dreier-Liste, die ins Bistum zur Auswahl retourniert wird, sollte hingegen geheim bleiben, sonst belagern die Medien die Mitglieder des Domkapitels. Es ist nicht zwingend, dass dies für die betroffenen Kandidaten eine übermässige Belastung darstellen würde. Es tut dem Ruf ja keinen Abbruch, auf einer solchen Liste zu figurieren, aber schliesslich nicht zum Bischof ernannt zu werden. Was aber doch eher ein No-Go darstellt, sind Indiskretionen aus den Verhandlungen von Gremien wie einem Domkapitel oder gar Publikationen von ganzen Verhandlungsprotokollen. Damit wird die Unabhägigkeit und die der eigenen Überzeugung verpflichtete Haltung der Mitglieder direkt gefährdet. Das rechtliche Verfahren St. Gallen ist mir nicht bekannt. Aber wenn dort als Vorschlagsgremium gegenüber Rom nicht ein Domkapitel, sondern das staatskirchenrechtliche Kirchenparlament fungiert, müsste man sich fragen, ob diese Instanz überhaupt mit einer päpstlichen, bzw. einer kirchenrechtlichen Schweigepflicht belegt werden kann, denn es handelt sich ja nicht um eine Einrichtung des CIC. Es sei denn, diese Schweigepflicht besteht auf Grund eines Konkordates zwischen Rom und St.Gallen. Auch scheint es doch so, dass Plenumsverhandlungen eines Parlaments ganz anders ablaufen als z.B. Verhandlungen innerhalb von parlamentarischen Kommissionen. In Plenumsverhandlungen werden ja nicht selten Voten “zum Fenster hinaus” abgegeben, sie richten sich im Grunde gar nicht an das Plenum, als vielmehr direkt an die Öffentlichkeit. Die Meinungen der Parlamentsmitglieder sind zu diesem Zeitpunkt sehr oft bereits gemacht. Die Unabhängigkeit ist kaum mehr gefährdet. Das verhält sich wahrscheinlich in einem Gremium wie dem Domkapitel ganz anders. Wenn die Mitglieder damit rechnen müssen, dass ihre Voten in der Folge fast wörtlich in den Medien publiziert und kommentiert werden, kann ich mir schlicht nicht mehr vorstellen, dass Unabhängigkeit und der innersten Übereugung verpflichtete Votenabgaben gewährleistet bleiben. Und es wäre dann auch ein leichtes, via Medien zum vorneherein derartige Wahlverhandlungen zu beeinflussen, was ja auch nicht der Sinn sein kann. Sonst würde man im Bistum Chur besser gerade einen christlichen Kurultai, bestehend vielleicht aus Delegationen der Kantonalkirchen, einführen, um einen Kandidaten auf den Schild zu heben, wobei dann die Medien anwesend sein könnten.

  • Thomas J. sagt:

    Ich sehe es ganz genauso. Es ist wirklich ein Unding und zeigt wie beschädigt die Verhältnisse im Bistum Chur sind, dass diese Interna an die Öffentlichkeit gelangt sind. Erschreckender ist zwar was man darin dann noch liest (und ich gebe zu es ist ja auch interessant/aufschlussreich) aber es sollte so nicht sein. Hoffen wir, dass wir bald einen neuen guten Bischof bekommen und dass diese unwürdige Treiben endlich sein Ende haben mag.

  • Hansjörg sagt:

    Wenn ich den Text von Herrn Angehrn lese, stellt sich mir die Frage: Sind den die 180 Kirchenparlamentarier, und wohl auch Kirchenparlamentarierinnen, aus St. Gallen nicht auch ehrbare und verantwortungsbewusste Menschen? Diese Attribute werden nur den vorwiegend älteren Männern aus dem Domkapitel in Chur zugeschrieben.
    Zudem befremdet mich die Aussage, dass der Papst das Geheimhaltungsprinzip für Missbrauchsfälle bereits im Jahr 2019 aufgehoben hat. Ja, sollen wir nun der kath. Kirche noch gratulieren, dass nach zehntausenden von Missbrauchsfällen innerhalb der kath. Kirche das Geheimhaltungsprinzip endlich aufgehoben wurde?

  • Heinz Angehrn sagt:

    Das ahnte ich schon von Anbeginn, dass diese Replik kommen musste.
    Also denn: Ein Parlament, wohl jedes, besteht aus Interessenvertretern/innen aller möglichen gesellschaftlichen Gruppen. Und manche dieser Gruppen, vor allem die an den Rändern, haben ein geradezu diebisches Interesse, den ordentlich-parlamentarischen Betrieb zu stören oder gar zu destabilisieren. Die werden darum einer Journalisten-Meute noch so gern jedes Internum weitererzählen! (So stelle ich mir bspw. die AfD und die Linkspartei im deutschen Bundestag vor, oder einst den Herrn Zysiadis im Nationalrat, heute bspw. den Herrn Köppel.)
    Und solche Gestalten sitzen auch an den Rändern eines Kirchenparlaments. Anders kann ich mir nicht erklären, warum 2006 alle sechs Namen nach aussen mitgeteilt wurden. Ich gehörte selber damals zum Gremium und erinnere mich sehr genau: Es brauchte nur etwas Vernunft und Anstand, um zu widerstehen. Diese Bischofswahl war völlig harmlos und von keinen Flügelkämpfen geprägt. Und doch plauderten einige.
    Darum bewusst meine Wortwahl.

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