Heinz Angehrn

«Rheingold» – Wie alles anfing

Ich wechsle Thema und Tonalität meiner Beiträge, dies aus für mich wichtigem Grund. Seit ich mich mit zarten 17 Lenzen (damals zum Teil aus reiner Opposition gegen das, was ich im Elternhaus und am Gymnasium an Warnungen und historischen Vorurteilen zu hören bekam) für Richard Wagner zu interessieren begann, bin ich dieser ganz grossen Spur der Musik- und Kulturgeschichte treu geblieben und bezeichne mich heute mit Überzeugung als Wagnerianer.

Wenn es im Wagner-Universum einen eigentlichen «Höhepunkt» gäbe (nur schon mit diesem Terminus sprechen wir aber Meisterwerken wie «Parsifal» und «Tristan und Isolde» ungerechterweise etwas von ihrer Qualität ab…), dann wäre es der Opern-Vierteiler «Der Ring des Nibelungen» mit insgesamt etwa 15 Stunden reiner Spielzeit (ohne die Pausen gerechnet). Die Aufführung dieses Monsterwerkes verschleisst riesige Mengen an Zeit und Personal und benötigt zudem die besten Stimmen aus Lagen, die bei Sängern und Sängerinnen wenig vertreten sind (Mozart kann manche/r singen, Wagner aber nicht!). Es ist darum selten, dass eines der grossen Opernhäuser (nur die sind dazu in der Lage) sich an einen «Ring» wagt; es braucht eine riesige Vorbereitungszeit und dann noch das Glück, dass niemand indisponiert ist.

Ich sah als Student in München den «Ring» in der Inszenierung von Günther Rennert (Erstaufführung 1975) und als Theologe im Urlaub am selben Orte seinen Nachfolger in der Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff (1987). Ich hörte unter anderen James King, Gwyneth Jones, Peter Schreier, Hildegard Behrens, Robert Tear, Matti Salminen und und und. Danach war, da ich in tiefster Theaterprovinz wohnte, lange Schluss, bis auf eine «Götterdämmerung» in der Regie von Sven-Eric Bechtolf in Wien. Zürich hatte in der Ära Pereira einen «Ring» in der Regie von Robert Wilson im Repertoire, den ich aber floh, da ich mir 15 Stunden langsame Wilson-Pantomime als blosse Folter vorstellen musste.

Und nun hat Andreas Homoki entschieden, zum Ende seiner Zürcher Intendanz einen neuen «Ring» zu wagen. Beginn ist mit der Premiere am 30.April, ich bin dabei! Ich werde deshalb diesen Blogbeitrag nach der Premiere so erweitern, dass jedermann/frau im Bilde ist. Der Ring in Homokis Sicht: die Geschichte der Menschheit überhaupt, von Schöpfung bis Apokalypse. Wir sind gespannt.

Und nun zur Aufführung, gestern Abend im prall gefüllten Haus vor vielen, auch illustren Gästen: Die Schöpfung zu Beginn ist die absolute Dunkelheit, in der das Orchester zum Leuchtstab von Gianandrea Noseda das Rheinesrauschen anstimmt. Der Sündenfall dann in leuchtend weissen Räumen, in denen Alberich (Proletarierzwerg in schwarzem Leder) den ebenso weissen Rheintöchtern das Kästchen mit dem Ring klaut. Die ferne Vergangenheit zeigt eine gelangweilte Göttergesellschaft kurz vor dem Zügeln. Die Riesen hocken als wandernde Gesellen auf einem monströsen Bild, das Walhall zeigt. Loge ist der Barfuss-Outsider mit seinen Feuertricks, der immer wieder aus dem Geschehen tritt und als Narr zum Publikum spricht. In Nibelheims Tiefen treffen wir einen echten feuerspeienden Drachen und eine Kröte, die das Publikum zum Lachen bringt. Der Sündenfall geht weiter, gebiert auf der sich ständig drehenden Bühne riesige Mengen schwarzer Kohle in der Unterwelt und goldene Nuggets in der Götterwelt. Der Fluch Alberichs wird gesprochen, brutal ist der Brudermord mittels Erschlagen mit dem Gold und der von der Begegnung mit der blinden Erdmutter erschütterte Wotan hockt zum Schluss an einem riesigen goldenen Esstisch, die Familie wendet den Blick von ihm ab. Loge verabschiedet sich durchs Fenster und wird wieder zur Lohe, er bleibt in Aktion.

Die Inszenierung: lebendig, überhaupt nicht ideologisch, sie lässt einem lachen und schaudern. Der Zauberkasten in Hogwarts und Smeagols Wandlung zu Gollum, alles ist da, Oper für die Kids der Neuzeit!
Die Sänger/innen: hervorragend, überragend sind Christopher Purves als Alberich und Matthias Klink als Loge. Tomasz Konieczny hat seinen Wotan schon oft gesungen und ist fast etwas zu routiniert. Das bläserstarke Orchester wie immer im kleinen Zürcher Haus: es muss sich zurückhalten, damit die hervorragende deutsche Artikulation der Sänger/innen zum Tragen kommt. Ergo: Hingehen, ins Universum des Meisters abtauchen und nachher die gewaltige Licht-Show draussen an der Fassade als Schmankerl mitnehmen. Richard Wagner lebt, und wie!

(Kein Kommentarmodus geöffnet. Theateraufführungen sind subjektive Geschmackssache.)

Bildquellen

  • das_rheingold_302_c_monika_rittershaus.0x800: opernhaus zürich
Opernhaus Zürich
28. April 2022 | 06:00
von Heinz Angehrn
Lesezeit: ca. 3 Min.
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