Markus Baumgartner

Rappelvolle Kirche für Ausgeschlafene

Die Kirche St. Ludwig lockt einerseits mit inspirierender Kirchenmusik, andererseits ist sie weithin als Kirche mit ansprechenden Predigten bekannt. Hier ragt besonders Bruder Josef Schulte (77) heraus, welcher die Sonntagsmesse um 12 Uhr gerne übernimmt. Er ist seit 34 Jahren Seelsorger in Berlin und kennt viele Leute. Und sie kennen und schätzen ihn und seine aufmerksame Art. Seine «Messe für Ausgeschlafene» ist immer voll. Dies ist in der heutigen Zeit ungewöhnlich, zumal in der eher kirchenfernen Hauptstadt Berlin. Viele Diplomaten und Prominente sind regelmässig in dem Gotteshaus zu sehen. Für Bruder Josef ist wichtig, dass die Menschen das Gefühl haben, dass der Gottesdienst miteinander gefeiert wird, dass niemand eine Zuschauer- oder Beobachterrolle einnimmt.

Authentische Predigt

Bruder Josef steht auch für ein Wort, das unter die Haut geht: «Jede Predigt braucht einen Glutkern, eine zentrale Botschaft. Und wichtig ist auch, dass ich selbst davon überzeugt bin. Das heisst, ich halte die Predigt auch für mich. Da ist nichts Fremdes, was ich transportiere. Ich versuche, die tiefere Schicht der Seele zu berühren», erläutert Pater Josef in einem Interview. Er denke bei der Vorbereitung auch intensiv an die Gäste, zum Beispiel, indem er sich einzelne Personen vorstelle: «Ein guter Prediger ist der, der versteht, die Ohren der Zuschauer in Augen zu verwandeln. Das heisst, ich verwende eine bildhafte Sprache und auch viele Symbole.»

City-Kloster in Bundeshauptstadt

1986 kamen die Franziskaner in St. Ludwig im Berliner Stadtteil Wilmersdorf an. Ein katholischer Bettelorden mitten im Berliner Wohlstandsschwamm. Ordens- brüder, die sich jeglichem Eigentum entsagen, in Gehorsam und Keuschheit leben. Sie leben ausge- rechnet dort, wo Berlin noch so richtig schön nach Wirtschafts- wunder aussieht – im Zentrum des praktizierten Materialismus. Wo sich heute die Feinkostläden drängen – nur wenige Meter vom Ku’damm – wo man keine Schnäppchen bewer-ben muss, weil es einmal im Leben nicht um Schnäppchen geht, schreibt dazu die Wochenzeitung «Die Zeit». 

Durch das Engagement der Franziskaner wurde St. Ludwig so etwas wie der Hauptstadttreff der Katholiken. Wahlweise als «Promi-Gemeinde» oder «Diplomaten-Gemeinde» beschrieben. Mit Sicherheit aber ein katholischer Zufluchtsort in der atheistischen Hauptstadt, schreibt die Wochenzeitung «Die Zeit» weiter. Einig ist man sich, dass der Geist von St. Ludwig ein besonderer ist. Hier ist ein Rückzugsort entstanden, mitten in der Hektik der Stadt, im Angefochtensein als Katholik in Berlin. St. Ludwig ist für die West-Berliner Katholiken ein Leuchtturm. Wegen Nachwuchsmangel hat die Provinzleitung der Deutschen Franziskanerprovinz allerdings beschlossen, sich von der Pfarrei St. Ludwig  zu verabschieden. 

Bild Quelle erzbistumberlin.de/Walter Wetzler
30. März 2020 | 17:36
von Markus Baumgartner
Lesezeit: ca. 2 Min.
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