Br. Paul Tobler

Psalmgebet mit Nebengeräusch

Das «Chorgebet», also das mehrmalige gemeinsamen Beten im Tagesverlauf, ist im Kloster zentral: «Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden» (Benediktsregel 43,3). Wir nehmen dabei fix zugeteilte Plätze ein, und meiner liegt neben jenem von Bruder Luzius, «Luzi»: 88jährig, im Gebet meist sehr vertieft, aber auch ein origineller und lebhafter Mensch. Beim Beten von Psalm 14, welcher die Verderbtheit der Menschen eindringlich anklagt – «Abtrünnig sind alle, alle zusammen verdorben, es gibt keinen der Gutes tut, nicht einen einzigen» – unterbrach Bruder Luzi sein Mitbeten schon energisch und kommentierte: «Nein, also das stimmt nicht!»
Die 150 biblischen Psalmen sind unser Gebetsbuch. Der Benediktsregel folgend beten wir nahezu jeden Psalm einmal im Wochenverlauf, mit durchdachter Zuteilung auf die verschiedenen Zeiten. Ich empfinde die Psalmen als etwas sehr Schönes, Kraftvolles. Sie geben uns eine Gebetssprache, wie es spontanes, freies Gebet allein nicht könnte. Christus hat auch Psalmen gebetet. Und das Psalmengebet verbindet uns mit dem Gebet der ganzen Kirche. Aber in ihrer Direktheit und Deutlichkeit können Psalmpassagen manchmal auch herausfordern. Deshalb gehören für uns auch Studium und Betrachtung von Psalmen immer wieder zum Erlangen eines Zugangs dazu.
Zu einem Kommentar führte auch schon Psalm 147, wo die Qualitäten von Geschöpfen relativiert werden im Vergleich zur Ausrichtung auf Gott: «Keine Freude hat er an der Kraft des Pferdes, kein Gefallen am schnellen Lauf des Mannes» (Ps 147,10) – darauf Bruder Luzi mit deutlichem Unverständnis: «Das kann ich nicht verstehen – Pferde sind doch so schöne Tiere!» Und die Passage in grosser Not und Bedrängnis (Psalm 102,5) «Ich vergesse sogar, mein Brot zu essen» führte schon zu skeptischer Äusserung, ob dies wirklich so sein könne.
Mich bringen die Kommentare manchmal etwas ins Schmunzeln. Sie zeigen aber wohl deutlich, wie wach und innig mein Sitznachbar am Beten ist. Und sicher könnte man es mit anschliessendem Gespräch auch «bereinigen». Denn auch Bruder Luzi betet gerne die Psalmen. Vermutlich erfüllt er die Aufforderung des Heiligen Benedikt auf seine Weise sehr gut: «Stehen wir beim Psalmensingen so, dass Herz und Stimme in Einklang sind.» (Benediktsregel 19,7).

6. Oktober 2013 | 09:41
von Br. Paul Tobler
Lesezeit: ca. 1 Min.
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