Wie Licht ins Leben kommt

Dieses Jahr hat mich eine Liedzeile des im Herbst verstorbenen Sängers Leonard Cohen durch die Adventszeit begleitet: «There is a crack in everything / that’s how the ligth gets in« (»Da ist ein Riss in allem / das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt»). Gerade zur Weihnachtszeit könnte man diesen Vers harmlos lesen: Wo sich der Himmel öffnet, erstrahlt das göttliche Licht. Aber Leonard Cohen meint es anders, wenn er vom «crack», vom Riss spricht, durch den das Licht eindringt: Er meint den Bruch, den Knacks, das Unvollkommene, das Verletzliche und Verletzte. Er sieht das Heil nicht in der Perfektion, sondern in der Unterbrechung.

Das Dunkel bekommt Risse

Für mich macht es Sinn, diesen Gedanken mit Weihnachten zu verbinden. Das Kommen Jesu hat nicht die ganze Welt ins göttliche Licht getaucht – weder damals noch heute. Aber es hat da und dort Licht ins Dunkel gebracht. Jesus hat Menschen ermutigt und befähigt, in einer Welt voller Gewalt, Hunger und Armut darauf zu vertrauen, dass dieses Licht stärker ist als das Dunkel, mag es auch noch so schwach sein. Dabei hat er auf Verletzlichkeit gesetzt, nicht auf Härte, auf Berührbarkeit, nicht auf Abschottung, auf Gewaltverzicht und nicht auf Sicherheitssysteme, auf Gottes Zärtlichkeit und nicht auf göttliche Allmacht. Was für ein Bruch mit damaligen wie heutigen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Konzepten!

Franziskus – «crack» im Gemäuer der katholischen Kirche

Ein «crack», eine Bruchstelle in der nach Geschlossenheit strebenden und Vollkommenheit beanspruchenden katholischen Kirche ist auch Papst Franziskus. Manche kirchliche Fassade hat durch ihn Risse bekommen, geschlossene Denksysteme und Moralvorstellungen haben einen Knacks erhalten, durch den Licht eindringen kann. Das tut der Seelsorge gut, gerade weil sie es doch immer mit «angeknacksten» Menschen zu tun hat (wer würde bestreiten, dass auch er oder sie den einen oder anderen «knacks» hat). Aber es beunruhigt all jene, die das System und die Macht, die es ihnen verleiht, erhalten wollen. Entsprechend hart wird daher um den Kurs der Kirche gerungen. Wie es auch immer weitergeht – der jesuanische und «franziskanische» Riss im dogmatischen, moralischen und disziplinären Gemäuer ist unwiderruflich.

Ein Leben ohne Risse und Brüche wäre ärmer

Das Bild von den «Rissen» regt mich aber auch an, über Brüche und Unterbrechungen im eigenen Leben, über Ideale und Lebenswünsche nachzudenken. So sehr ich es mir manchmal wünschte, dass alles rund und glatt läuft – mein Leben wäre ärmer ohne Unvollkommenheiten, ohne Verletzlichkeiten und ohne erfreuliche aber auch schmerzhafte Bruchstellen, durch die Licht einbrechen konnte.

In diesem Sinn hoffe ich, dass da und dort das Licht von Weihnachten in  unsere Welt voller Brüche einbricht und sie  etwas heller macht. Sie kann es brauchen.

Daniel Kosch

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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