Am Telefon mit Jesus

Gestern habe ich Jesus Christus am Telefon gehabt. Ein Anruf von einer Handy-Nummer. Angefangen hat alles ganz normal. Eine ältere Männerstimme möchte mit unserem Chefredaktor sprechen. Der ist noch nicht da. Auch ein anderer Theologe und Journalist wäre ihm recht. Ich weise ihn darauf hin, dass Ferienzeit ist und deshalb gerade niemand verfügbar. Ob ich ihm weiterhelfen könne? Und so beginnt er zu erklären.

Er sei geboren als H. S., aber in Wirklichkeit sei er Jesus Christus. Der Vater denke zwar, dass er noch nicht bereit sei, aber er wolle jetzt an die Öffentlichkeit gehen. Der Katholische Mediendienst werde ihm doch sicher dabei helfen. Mit dem Blitz habe er es auch schon versucht, aber der Vater denke, dass er noch nicht so weit sei.

Wie hätten Sie in dieser Situation reagiert? – Ich hätte mit Ironie reagieren können: Seine wahre Identität solle er besser geheim halten; er wisse ja, was vor gut 2 000 Jahren passiert sei. Ich konnte der Versuchung widerstehen und bemühte mich, ihn schonend auf eine seelsorgerliche oder psychologische Betreuung vorzubereiten. Das kenne er alles schon. Bei Bruder K. im Kloster L. sei er schon öfter gewesen, aber der nehme sich nicht genügend Zeit für ihn. Sein Pfarrer gehe auch nicht wirklich auf ihn ein. Inzwischen werde er nur noch mit dem Anrufbeantworter verbunden. Ein ehemaliger Priester, der jetzt eine psychologische Praxis betreibe – ja, ja, dachte ich, das ist es –, sei nicht mehr auffindbar. Ich fand ihn auch nicht.

Als «Jesus» dann begann, mir seine Vorstellungen einer katholischen Moraltheologie zu erläutern (es gebe doch nichts Wichtigeres als Liebe und Sexualität und das müsse die Öffentlichkeit von ihm, Jesus Christus, jetzt endlich erfahren), neigte sich auch meine Geduld ihrem Ende entgegen. Mit dem Hinweis, dass ich hier nur der Techniker sei, wurde ich ihn nach einer halben Stunde endlich los: Nein, von Technik verstehe er gar nichts.

Nach dem Gespräch überlegte ich mir: Was würde ich Jesus wirklich empfehlen, wenn er in der heutigen Zeit seine Gedanken verbreiten wollte? Wäre er beim Katholischen Mediendienst und bei den kirchlichen Medien an der richtigen Stelle? Wohl kaum. Unsere Reichweite ist trotz aller Anstrengungen eher bescheiden. – Fände er bei den klassischen Medien eine Plattform? Es wäre eine Meinung unter vielen. – Müsste er sich in den sozialen Medien engagieren? Das sicher, aber da verschwänden seine Ideen auch in der Flut anderer Lebens- und Weltentwürfe.

Was also würde ich Jesus empfehlen? Ganz einfach – und darauf sind er und/oder seine Promotoren schon vor mehr als 2 000 Jahren gekommen: Wirke Wunder, dann ist dir die Aufmerksamkeit gewiss!

Erich Schweizer

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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