Gewaltfrei gegen Putin?

1987 stand ich, 15-jährig, in meiner ersten Menschenkette. Von Stuttgart bis Ulm schlossen sich, durch meine Heimatstadt hindurch, Menschen zusammen, um gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen zu protestieren. Wir lasen Bücher mit Titeln wie «Lieber rot als tot» und diskutierten an Infoständen unsere Idee, einer russischen Invasion keine Nuklearraketen entgegenzusetzen, sondern massenhaften gewaltfreien Widerstand, wie Gandhi im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft.

Rot ist Putin nicht, die Ukraine angegriffen hat er trotzdem. Das erlebe ich in Lettland, einem Land, das sich nicht zuletzt mit einer Menschenkette, dem «Baltischen Weg» seine Unabhängigkeit vom Sowjetreich erkämpfte. Wo sich die Menschen schon aufgrund dieser geteilten Vergangenheit in der Sowjetunion äusserst verbunden fühlen mit den Ukrainer:innen. Und wo sie mit stoischem Trotz die Möglichkeit sehen, dass sie selbst das nächste Ziel Putins sein könnten. Da wird mit Galgenhumor über deutsche Helme gewitzelt, und Aufnahmen ukrainischer Regierungsmitglieder in Kampfanzügen rufen leise Bewunderung hervor, weil sie nicht fliehen, sondern sehr konkret ihr Leben riskieren.

Wir beten für den Frieden. Aber was, wenn der plausibelste Weg zum Frieden die Kapitulation ist? Beten wir dann dafür, dass die Menschen in Kiew schnell aufgeben, damit es nicht zu einem langen Häuserkampf kommt? Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, was Jesus heute auf den Strassen von Kiew tun würde. Würde er, immer an der Seite der Schwächeren und Bedrohten, sie ermutigen, auch wenn sie Waffen tragen? Oder sich weigern, am Widerstand anders als gewaltfrei teilzunehmen?

Etwas einfacher fällt mir, unsere Aufgabe zu sehen. Beten, ja. Aber nicht nur. Das Bestechende an gewaltlosen Methoden ist, dass sie nicht nur dort wirken, wo sie angewandt werden. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen unseren Staaten und Russland sind eng und vielfältig. Das ergibt viele Möglichkeiten, Putins Regime wirtschaftlich zu isolieren. Angefangen mit dem Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr. Was ohne Zweifel zu Krisen führen wird, allein Deutschland importiert die Hälfte seines Gasverbrauchs aus Russland, das wird sich nicht über Nacht ersetzen lassen. Aber zuzusehen ist eine Option, die, meine ich, mal zur Frage Jesu führen wird «Und als Du gebetet hast, was hast Du da getan?»

Es ist nicht sicher, dass sich Putin so aufhalten lässt. Aber es ist möglich, und es ist, was wir tun können.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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