Der «falsche Gott» – Eine Einschätzung

In der NZZ-Ausgabe vom 22.Dezember fand sich im Feuilleton-Teil unten auf Seite 31 ein neuer Text von Giuseppe Gracia (Ex-Informationsbeauftragter der Diözesen Basel und Chur; nach dem Amtsantritt von Bischof Joseph in Chur aus der Kirchgemeinde St.Gallen, in der er wohnhaft war, ausgetreten), der hier auf kath.ch schon im Schnelltempo berichtet und beurteilt worden ist. Als Mensch und Theologe, der Giuseppe schon seit langen immer wieder begegnet ist (das erste Zusammentreffen war das von Religionsschüler und Religionslehrer), versuche ich aus einer gewissen Distanz zu werten, was dieser neue NZZ-Text uns sagen kann.

Der von der NZZ gesetzte und vom Autor sicher approbierte Titel lautete «Abschied vom falschen Gott». Darunter wurde der Untertitel «Die Säkularisierung ist auch das Ende einer übergriffigen, moralisierenden Kirche. Dabei gewinnt das Christentum selbst» gesetzt. So gesehen weckte der Artikel ein rechtes Interesse, ist doch die Frage, welches Gottesbild die Institution Kirche vermittelt hat und heute vermittelt, effektiv eine existenzielle bei der noch gewichtigeren Grundfrage, ob diese Institution noch eine Zukunft haben kann.

Zuerst gleich mal zum groben Kurzschluss, den Giuseppe in der abschliessenden Conclusio zieht. Sie lautet nämlich verkürzt so, dass eine politisierende Kirche, in seiner Sprache eine Wirtschafts-, Sozial-, Klima- und Umweltpolitik treibende Kirche, untauglich ist, das biblische Gottesbild des liebenden, sich auf die Seite der Bedrängten und Unterdrückten (»Der Gott der kleinen Leute») stellenden Gottes zu vermitteln, weil sie politisch-moralische «Machtansprüche» erhebt. Nun ja, wenn das die Absicht ihres Handelns und Lehrens wäre, dann hätte der Autor recht.
Es mag ja sein, dass «Landes-» und «Kantonalkirchen» manchmal so wirken, als würde hier vom hohen materiellen Ross herab be- und verurteilt. Aber Giuseppe sollte wissen (oder sich dann theologisch informiert haben), dass dieser von ihm mit «politisieren» bezeichnete Ansatz primär nicht von der von ihm so verabscheuten «Schweizer Staatskirche» (die war nämlich während vielen Jahrzehnten ein mit der CVP und der Armee verbandelter Macht-Apparat und gar nicht auf der Seite der bedrängten Fabrikarbeiter und Dienstverweigerer!), sondern von der Theologie der Befreiung in Mittel- und Südamerika vertreten wurde. Und er sollte zur Kenntnis genommen haben, dass der jetzige Papst (der vom neokonservativen Umfeld der alten Churer Bistumsleitung, zu der auch Giuseppe gehörte, verabscheut und im kleinen Kreis lächerlich gemacht wurde) der wohl am meisten politisierende der Neuzeit ist.
Apropos: So wäre der vollständige Kirchenaustritt die adäquateste Reaktion gewesen und nicht der aus der St.Galler Landeskirche (wenn man damals nur aus der hätte austreten können, hätte der Schreibende das wohl 1973 als Kantonsschüler getan!).

Der Rest des Artikels ist fröhlich-wildes Zitieren verschiedener Positionen, von den alten Kirchenvätern hin zum neuen Kirchenvater Karl Rahner, über grosse Strecken mit der erwähnten Conclusio nicht unmittelbar verbunden. Da würde ich jetzt doch gerne etwas arrogant formulieren: Schuster, wärest Du bei Deinem Leisten geblieben. Und übrigens, lieber Giuseppe: Der von Dir zu Recht als untauglich für den rationalen Menschen der Neuzeit zu vermittelnde Kinderschreckgott, der «infantilisierende», sprich entmündigende Gott, auch die die Autonomie der Naturwissenschaften ablehnende Kirche, all dies ist nicht Gedankengut der Landeskirchen der Neuzeit, sondern die Ideologie der lieben reaktionären Gruppe, in deren Obhut sich Dein ehemaliger Brötchengeber Vitus zurückgezogen hat! Das Dogma von 1870, in dem die Macht-Arroganz der ihre materielle Macht schwinden sehenden alten Kirche sich für lange Zeiten als in ewigen Stein gehauenes Monster darstellte, das ist es, was Du hättest kritisieren können, das hatte und hat nichts mit dem menschenfreundlichen und liebenden Gott Jesu zu tun!

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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