Inkarnation – Das Geheimnis von Weihnachten

Gott: Über dieser Welt, aber bei seiner Welt

Im Buch Deuteronomium (23,3) gibt es einen kurzen Vermerk darüber, wo die Israeliten im Heerlager ihre Notdurft zu verrichten haben: In einer Ecke im Vorgelände des Lagers. Der grosse preussische Denker des absoluten Geistes, Georg W.F. Hegel, ekelte sich über diese banale Alltagsrelevanz der Tora, wie in seiner Schrift Der Geist des Judentums zu vernehmen ist. Einem idealistischen Gemüt schickt es sich nicht an über Fäkalien nachzudenken. Vom Degout Hegels lässt sich ein Brückenschlag zu den Windeln des göttlichen Kindes schlagen. Auch die Weihnachtsgeschichte glänzt mit detailgetreuen Schilderungen der menschlichen Verfasstheit des Gottessohnes. In seinem neuen Buch Inkarnation – Das Ende aller Wege Gottes spricht Karl-Heinz Menke von der penetranten Diesseitigkeit der jüdischen Tora. Und sieht darin ein religionsgeschichtliches Präludium zur Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Ohne auf die philologischen Spitzfindigkeiten der Namensoffenbarung Gottes inmitten des brennenden und nicht verbrennenden Dornbusches einzugehen, darf diesbezüglich festgehalten werden: Auch wenn Gott nicht definitorisch einzufangen ist, seine Treue ist steter Wegbegleiter des Menschen und widersteht den Schwankungen der Zeit. Die Anwesenheit des Weg-Gottes ist die Grunderfahrung des israelitischen Gottesbewusstseins. Hier ist nun aber ein komplexitätssensibles Denken gefordert. Gott ist nicht einfach mit der während der Wüstenwanderung mitziehenden Wolkensäule zu identifizieren. Das Gott sich in Naturphänomenen zu erkennen gibt, bedeutet nicht, dass er auf diese zu reduzieren wäre. Seine Überweltlichkeit und die daraus erwachsende Andersartigkeit machen einem vorschnellen Pantheismus einen Strich durch die Rechnung. Über Gottes Gegenwart in der Welt zu räsonieren, erfordert Denkakrobatik. Daraus resultieren verschiedenen Modelle spekulativer Theologie, wie sie in den monotheistischen Traditionen anzutreffen sind. Dem biblischen Gottesbild wohnt eine Dynamik inne. Von Anleihen an die Stiergottheiten der paganen Umwelt, der Charakterisierung Adonais als Wettergott über die monolatrische Tendenz, den Gott Israels als höchsten Gott im Pantheon der Gottheiten zu verehren bis hin zur radikal-prophetischen Einsicht in die absolute Transzendenz und Unvergleichbarkeit Gottes, ist es ein langer Weg mit Vor-und Rückschritten. Diese Entwicklung ist in den biblischen Schriften nachgezeichnet. So betont denn auch das Zweite Vatikanische Konzil den Charakter der Heiligen Schrift als im Medium menschlicher Sprache artikulierter Anrede Gottes. Aber dieser alles übersteigende Gott ist dennoch anwesend und den Menschen zugeneigt, ohne dadurch seine unfassbare Erhabenheit zu verlieren. Mit diesem Paradoxon gekonnt zu jonglieren vereint jüdische und christliche Theologie in ihrem Ansinnen.

Jesus: In dieser Welt, aber nicht von dieser Welt

Was hat nun aber dieses an Weihnachten vielfach besungenen Jesusknäblein damit zu tun? Der Johannesprolog identifiziert das unscheinbare und hilfsbedürftige Kindlein mit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auch um den darin erwähnten Begriff Logos werden erbittere Kämpfe auf dem Schlachtfeld der Gelehrtenmeinungen geführt. Wie auch immer man ihn übersetzen will, es scheint anmassend, ja gerade zu absurd, ihn mit einer Entität gleichzusetzen, welcher die Windeln gewechselt werden müssen. Aber genau diese kühne Behauptung vertieft und verdichtet sich im Laufe der Kirchengeschichte in konziliaren Bekenntnisformeln. Gott gibt sich selbst in seinem Sohn zu erkennen und vermittelt diese Einsicht wiederum durch das Wirken des Heiligen Geistes. Diese begriffliche Ausfächerung der göttlichen Selbstoffenbarung in trinitarische Schemata wurde von einer ganzen Garde von Theologen als Hellenisierung des Christentums ausgedeutet. Namentlich der Kulturprotestant Adolf von Harnack hat darin einen Verrat an der ursprünglichen Intention Jesu erblickt. Gott, der Vater allein ist die Mitte des Evangeliums, die Anbetung des Sohnes ist philosophisch zurechtgemurkster Götzendienst. Um sich verständlich zu machen, war es für die Verteidiger des christlichen Glaubens unabdingbar, sich der damals geläufigen Sprache zu bedienen und dementsprechend auch kniffliges Spezialvokabular im Mund zu führen. Dieser Dialog mit dem griechischen Denken zeugt von der Weltoffenheit der Kirchenväter und deren missionarischem Drang sich verständlich zu machen. Wie nun Menke argumentativ darlegen kann, handelt sich dabei keinesfalls um eine Ummünzung biblischer Sprachbilder in philosophische Konzepte, sondern um eine Revolutionierung des griechisch-römischen Denkens. Dabei spielt der Personenbegriff eine entscheidende Rolle. Auf den Spuren von Platons Ideenlehre gilt das unberührbar Eine als Urbild der Mannigfaltigkeit der weltlichen Erscheinungsformen. Der Einzelmensch ist Abklatsch der geistigen Idee des Menschen und Erlösung ist Wiedervereinigung mit dem Unterschiedslosen. Aristoteles spricht vom Unbewegten Beweger. Dieses Prinzip ist jedoch weder kommunikativ noch fürsorglich, geschweige denn es trägt Windeln. Diese Denkformen sind streng hierarchisch. Das Eine ist der Gipfelpunkt, das Viele per se defizitär. Ganz anders denken die dogmatischen Verlautbarungen der Ökumenischen Konzilien vom Numinosen. Anstelle einer beziehungslosen Selbstgenügsamkeit wird Gott als Bundespartner der Menschen beschrieben. Diese Fähigkeit zur Beziehungsstiftung liegt wiederum im Wesen Gottes selbst begründet, ist die Quintessenz dieses Wesens. Dreifaltigkeit als der Zusammenfall und die Gleichursprünglichkeit des Einen und des Vielen. Somit ist aus christlich-orthodoxer Sicht eine Abwertung des Personalen und Konkreten nicht zulässig. Die Einzigartigkeit Gottes ist nicht das Gegenteil des Konkreten. Daher kann sich Gott auch im Menschen Jesus zum Ausdruck bringen und diese konkret-leibhaftige Menschlichkeit Jesu ist als Offenbarungsmedium des ewigen Gottes und damit Bild und Werkzeug seiner endlosen Liebe. Das führt auch zu einer beispiellosen Aufwertung jedes einzelnen Menschen. Er ist von Gott gewollt und bejaht. In seiner Unersetzbarkeit ist jede menschliche Person Ausdruck der göttlichen Schöpfungskreativität. Das ist der metaphysische Tiefenstrom der Menschenwürde, auf welchen Hans Joas (Die Sakralität der Person) unlängst aufmerksam gemacht hat. Von hier aus besehen, eröffnet sich ein Verständnishorizont, um selbst einem Kuriosum, wie die Reliquienverehrung der Josefshosen, ein eigens Sinnpotential zuzugestehen. Der zerknittert-bräunliche Wollstoff, welcher Karl dem Grossen übergeben wurde und seither an der Aachner Heiligtumswallfahrt verehrt wird, soll als Windel Jesu fungiert haben. Diese fromme Andachtsübung spiegelt die Sehnsucht des Menschen nach der konkreten Nähe des Göttlichen wider. Und der konkrete, vom Himmel herabgestiegene Gott, schenkt dem Menschen seine Gegenwart nicht nur in mystischer Versunkenheit, sondern vielleicht auch im Berühren einer Windel. Oder um es mit der 5. Strophe des tiefsinnigen Weihnachtslied «Vom Himmel hoch, da komm ich her» Martin Luthers auszudrücken: So merket nun das Zeichen recht: Die Krippe, Windelein so schlecht, da findet ihr das Kind gelegt, das alle Welt erhält und trägt.

Gian Rudin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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