Gottvetrauen und /oder Corona-Massnahmen

«Du musst mehr Gottvertrauen haben. Dann wird alles gut.» Diesen Rat hat man früher unter den Gläubigen häufig gehört und man hört ihn vielleicht immer noch.
Was ist davon zu halten? Zuerst: Es kann damit Unfug betrieben werden. Ein Beispiel von der vorletzten Woche: Eine jüngere Frau aus der Innerschweiz hat sich auf Facebook gefragt: «Was würde Jesus tun, wenn er in den Zeiten von CORONA zu uns käme?» Die Antwort: «Er würde alle Abschrankungen abreissen, alle Desinfektionsmittel ausschütten und alle Corona-Plakate abreissen. Und vor allem: Er würde fragen: «’Wo bleibt euer Gottvertrauen’?»
Nein, so geht es nicht. Wir dürfen uns nicht leichtfertig verhalten und dann denken: Gott wird’s schon wieder einrenken. 
Ich meine: Wir sollten uns da an Ignatius von Loyola orientieren, an den Gründer des Jesuitenordens. Er hat – sinngemäss – gesagt: «Vertrau so auf Gott, als ob alles von ihm abhängen würde. Aber: Streng dich so an, als ob alles auf dich ankäme.»
Beides – das Vertrauen und den Aufruf zum Handeln – findet sich schon in der Bibel. Jesus ruft immer wieder dazu auf, etwas zu tun, dass es den Mitmenschen besser geht. Aber ebenso hat er im Evangelium an mehreren Stellen dazu eingeladen, auf die Hilfe Gottes zu zählen. Dann könnten sogar Wunder geschehen. In seiner bildhaften Sprache sagte er: «Wenn ihr auch nur einen kleinen Glauben hättet, könntet ihr Berge versetzen.»
 
Ein Bekannter von mir hat dazu eine Geschichte erzählt. Ein Mann hatte sich am Hügel vor seinem Haus gestört, weil er ihm die schöne Aussicht genommen hat. An einem Abend erinnerte er sich an die Verheissung Jesu, setzte sich ans Fenster und sagte die ganze Nacht immer wieder: «Hügel, geh weg. Hügel geh weg.» Als es wieder hell wurde, sah er: Der Hügel ist immer noch da. Der Mann sagte sich: «Ich habe ja gewusst, dass es nicht funktioniert.» Wir dürfen also vermuten, dass sein Glaube nicht gerade überwältigend gross gewesen ist.
Ich sagte, Jesus habe einer Bildsprache geredet, ungefähr so, wie es bei den Orientalen üblich ist: mit Vergleichen und auch mit dem, was wir nüchterne Westeuropäer als Übertreibung empfinden.
Und dennoch: Die Verheissung, dass man Berge versetzen kann, haben gerade wir Schweizer in einer abgeänderten Form schon mehrmals handfest erlebt. Ich meine da den Tunnelbau, den Durchstich von Bergen. Wenn nicht schon im vorletzten Jahrhundert unternehmenslustige Leute daran geglaubt hätten, dass so etwas möglich ist, gäbe es keine Tunnel durch den Gotthard usw.
Sie haben darauf vertraut, dass zwar ein Berg nicht versetzt, aber doch mit Bormaschinen und Dynamit bezwungen werden kann.
Zum Schluss noch kurz ein ganz anderer Gedanke. Wenn wir uns fragen, was nach dem Tod kommt, kann uns das Vertrauen auf Gott Trost und Hoffnung schenken.  Dazu gibt es ein sehr eindrückliches Gedicht vom Rainer Maria Rilke. Es fängt damit an, dass im Herbst Blätter fallen und fallen. Und dann am Schluss des Gedichtes die Hoffnung: «Und doch ist einer, der dieses Fallen unendlich sanft in Händen hält.»
Und mit dieser Zuversicht wünsche ich euch einen guten Sonntag.
Wort zum Sonntag, Radio CENTRAL, 14. November 2021 

Walter Ludin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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