Oase der Stille im Tempel der Moderne

Der reformierte Pfarrer Adrian Berger ist überzeugt davon, dass die Kirche dorthin gehen muss, wo die Menschen sind. So bestehe die Möglichkeit, dem Trend der schwindenden Mitgliederzahl ein bisschen entgegenzuwirken. Auf seine Initiative entstand vor fünf Jahren der «Raum+Stille» als Oase der Ruhe im Einkaufszentrum Glatt. 

Das Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen ist das fünftgrösste Einkaufszentrum der Schweiz: Die rund 90 Geschäfte sowie 14 Restaurants und Bars werden jährlich von etwa neun Millionen Menschen besucht. Mitten in der «Kathedrale des Konsum» befindet sich «Raum+Stille» als Oase der Ruhe und Gegenpol. Der Raum wird von der reformierten und katholischen Landeskirche des Kantons Zürich in Zusammenarbeit mit dem Einkaufszentrum betrieben. Im Gespärch mit Radio «Life Channel» erklärt die reformierte Pfarrerin und Co-Leiterin Christine Forster: «Man lernt Leute kennen, die nie in eine Kirche gehen oder eine Seelsorge in Anspruch nehmen würden.» Alle sind willkommen, unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung.

Zu den Menschen gehen

«Vielen herzlichen Dank für diesen Raum der Gemeinschaft. Es ist sehr inspirierend, wie sehr Sie Rücksicht auf die Mitmenschen nehmen. Ich hoffe, mehr Einkaufszentren werden diesem Beispiel folgen. Alles Gute!», lautet ein Feedback nach einem Besuch. Der Raum im Stil eines Wohnzimmers richtet sich im Glatt sowohl an Kunden als auch an Mitarbeitende. Er will auch Menschen ansprechen, welche mit Kirche und Religion wenig am Hut haben. Das Angebot stösst auf ein grosses ­Bedürfnis: Die meisten suchen mitten im Einkaufsrummel einen ruhigen Ort. Jährlich schauen gegen 5000 Personen vorbei.

Unter ihnen einige Familien und auch überdurchschnittlich viele unter 30-Jährige, sagt Gründungsmitglied und Seelesorgerin Mirjam Duff zur «NZZ am Sonntag»: «Im Gegensatz zu Gottesdiensten, die einem klaren Ablauf folgen, bieten wir den ­Besuchenden grosse Freiheit». Nach einer anfänglichen Testphase befindet sich das Angebot fix an gut frequentierter Stelle direkt neben Bancomat und den Toiletten. Kommt man die Treppe hoch, steht man vor dieser Tür. 

Auch Glattzentrum unterstützt es

Einige meditierten, Muslime kämen zum Gebet, und Angestellte nützten den Raum während der Arbeitspause zum Entspannen. Durchschnittlich sucht etwa eine Person pro Tag ein persönliches Gespräch. «Besonders Mitarbeiter des Glattzentrums wünschen, dass die Öffnungszeiten ausgedehnt werden», sagt Mirjam Duff. Betrieben wird der Raum von den beiden Landeskirchen. Sie finanzieren eine Seelsorgerin und einen Seelsorger, die zu je einem Drittel angestellt sind, und zusammen mit elf Freiwilligen das Projekt betreuen. Auch die Leitung des Glattzentrums unterstützt das Vorhaben. «Wir be­grüssen den Raum der Stille als eine Möglichkeit der Entschleu­nigung», sagt Geschäftsführer Rageth Clavadetscher zur «NZZ am Sonntag». So weisen nicht nur Schilder auf den Raum der Stille hin, sondern das Zentrum stellt ihn auch zu besonderen Konditionen zur Verfügung.

Markus Baumgartner

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