Wie sich ein Bibeldorf ständig entwickelt


Leben in biblischer Zeit: Das Bibeldorf der evangelischen Kirchengemeinde in Rietberg ist ein deutschlandweit einzigartiges Projekt. Der pädagogische Lernort mit seinem Freilichtmuseum macht das Alltagsleben zur Zeit der Bibel erlebbar. Dort stehen ockergelbe Häuser, ein Tempel, eine Synagoge,Ziegenhaarzelte und römische Wachanlagen. Aus kleinen Anfängen ist bis heute ein richtiges Freilichtmuseum geworden, das als «Living History» lebt und stetig weiter wächst. 

Lisa Müller, Kantonsschülerin in Trogen (AR), konnte in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) unter der Rubrik «Jugend schreibt» einen Artikel zum Bibeldorf in Rietberg in der Nähe von Dortmund publizieren – wir bringen Auszüge davon: Im Bibeldorf tönen das rhythmische Hämmern der Handwerker und vorbeimarschierende Römertrupps. «Die Düfte des Kräutergartens vermischen sich mit dem Geruch frisch gebackenen Fladenbrotes. In dem Dorf mit den ockergelben Häusern fühlt man sich in den Nahen Osten zur Zeit Jesu katapultiert», schreibt Lisa Müller. Heute können Schulklassen, Kinder- und Jugendgruppen hier das Leben im Alten und Neuen Testament erfahren, während sie Körbe flechten, Seile drehen, Mehl mahlen, Brot backen oder Kräutersalz herstellen. Überall auf dem Gelände begegnet man Skulpturen des Künstlers Angelo Monitillo, der mit seinen biblischen Tieren und Figuren das Bibeldorf noch bereichert.

Ausgewählter Ort im Land der Ideen

«Wenn wir biblische Geschichten erzählen, schwingt ganz schnell bei jedem etwas aus seinem Leben mit», sagt Eva-Maria Fricke, Geschäftsführerin des Bibeldorfes. Für die 57-Jährige sei schon immer die Frage gewesen, wie man junge Menschen in Kontakt mit biblischem Wissen bringen könne. Seit 20 Jahren setzt sich die Lehrerin für Deutsch, Musik und katholische Religion dafür ein, Interesse für die Bibel und deren Geschichten zu wecken, besonders bei jungen Menschen. 2007 wurde das Bibeldorf als «ausgewählter Ort im Land der Ideen» ausgezeichnet. 

Begonnen hat alles 2003, als Fricke das Bibeldorf zusammen mit ihrem Mann Dietrich gründete. Der ist Theologe und Pastor der evangelischen Kirchengemeinde Rietberg. Mit dem damals zehnköpfigen Jugendkreis der Gemeinde begannen sie eine schlichte Synagoge im Stil der damaligen Zeit zu bauen. «Wir hatten ja so gut wie kein Geld und mit dem wenigen, das wir hatten, haben wir angefangen». Neben Einzelbesuchern kamen bald ganze Schulklassen, und die Kirchengemeinde Rietberg kaufte das gepachtete Gelände von der Stadt. Durch Besuchereinnahmen und Spenden konnten neue Gebäude gebaut werden. Das Bibeldorf wächst bis heute. «Inzwischen sind wir ein richtiges Freilichtmuseum», erklärt die Geschäftsführerin stolz.

Neues Testament hautnah erleben

Im Aussenmuseum gibt es neben dem Dorf mit den verschiedenen Werkstätten und der Synagoge auch eine römische Wachanlage. So kann man einerseits jüdische Traditionen und andererseits die römische Besatzung Israels im Neuen Testament hautnah erleben. Vor der Stadtmauer entdeckt man einige Ziegenhaarzelte, unter denen nomadisches Leben nachempfunden ist. Im Innenmuseum gibt es Ausstellungen zu biblischen Themen wie etwa zu Martin Luther oder zur Geschichte Israels und Palästinas. In diesem Jahr gibt es anlässlich des Jubiläums «1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland» ausserdem eine Ausstellung zum Christentum und seinen jüdischen Wurzeln.

Über das ganze Jahr gibt es im Bibeldorf Veranstaltungen. So können Besucher am Karfreitag der Passionsgeschichte von Jesus beiwohnen oder in der Adventszeit den orientalischen Basar besuchen und dabei die Weihnachtsgeschichte live erleben. An fünf Sonntagen im Sommer wird das Bibeldorf von Bewohnern belebt, die die Besucher dazu einladen, selbst aktiv zu werden. Das Besondere dieser Anlässe ist, dass die Besucher Teil der Geschichte sind, weil sie zum Volk dazugehören und so mittendrin sind. «Living History» nennt Fricke das.

Buch hat mit eigenem Leben zu tun

Seit das Museumsgelände 2014 mit einer grossen, multifunktionalen Basilika ergänzt wurde, können immer mehr kirchliche und andere Veranstaltungen stattfinden. Auch die Besucherzahlen steigen jährlich; während 2003 noch 2000 Besucher ins Bibeldorf kamen, waren es 2019 schon 33’000. Ziel ist es, die Besucher zum Nachdenken anzuregen. In dieser Arbeit hat Fricke eine Lebensaufgabe gefunden. «Ich erlebe immer wieder, dass Besucher die Bibel plötzlich nicht mehr als ein altes, verstaubtes Buch erleben, sondern als ein Buch, das mit ihrem ganz persönlichen Leben zu tun hat und mit der Frage, ob sie in ihrem Leben glücklich sind.»

Die «Ahlener Zeitung» beschreibt das Erlebnis von Kommunionskindern, die das Bibeldorf besuchten: Die Kinder erfuhren dort, wie die Menschen zur Zeit von Jesus gearbeitet haben. Sie haben zum Beispiel Korn zu Mehl gemahlen. Die ganze Gruppe schaffte in 30 Minuten 1,5 Kilogramm. Das war früher das Pensum einer einzigen Frau in zwei Stunden. Zum Schluss wurde Fladenbrot gebacken. Die Kinder wissen jetzt, wie viel Arbeit es damals war, das tägliche Brot zu verdienen. Das Vater-Unser-Gebet «Gib uns unser täglich Brot» erhält da eine ganz andere Bedeutung.

Markus Baumgartner

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.blogs-kath.ch/wie-sich-ein-bibeldorf-staendig-entwickelt/