Grenzüberschreitungen

Der morgige Gedenktag der Heiligen Kyrillos und Methodios ist ein ökumenisch denkwürdiger Anlass im katholischen Heiligenkalender. Im Gedächtnis der (ungeteilten) Kirche, sind die beiden im 9. Jahrhundert in Thessaloniki geborenen Brüder, als die sogenannten Slawenapostel eingraviert. Und damit ist bezeichnenderweise geographisch ein immenses Territorium gemeint. Dabei sticht der Erstgeborene im Umfang seiner Missionstätigkeit deutlich hervor, obwohl der Letztgeborene konventionell zuerst genannt wird. Interessanterweise ist in griechischen Quellen praktisch Nichts von den Beiden zu finden. Die Sammlung ihrer Lebenszeugnisse und die damit verbundene Legendenbildung stammen aus Ohrid, Bulgarien oder Serbien und sind somit von slawophiler Gesinnung übertüncht. In der weströmischen Kirche wurde zur damaligen Zeit die sogenannte Dreisprachendoktrin vertreten: Hebräisch, Griechisch und Latein waren die einzig gottesdienstlich zugelassenen Sprachen. Das Heilige war trilingual. Der beflissene Enzyklopädist Isidor, welcher auf dem Bischofsstuhl von Sevilla sass, begründete dies mit der Kreuzesinschrift Christi. In der byzantinischen Christenheit hatte die Form der liturgischen Sprache lange keine kirchenrechtliche Bewandtnis. Im 12. Jahrhundert äussert sich dann der Kanonist Theodoros Balsamon zur Frage nach der Zulässigkeit verschiedener Sprachen im gottesdienstlichen Gebrauch. Von grosser Relevanz ist dabei die möglichst originalgetreue Wiedergabe der griechischen Vorlagen. Dieses grundsätzliche Wohlwollen gegenüber fremdartigen Sprachen ist jedoch auch mit einem Überlegenheitsanspruch verbunden. So mokiert sich ein griechischer Erzbischof beispielsweise über die Schroffheit der Altbulgarischen Sprache, die nicht imstande ist, die Finesse des Griechischen abzubilden. In anderen konkreten Fällen, wenn es beispielsweise um die Übersetzung liturgischer Texte ins Rumänische geht, wird pragmatisch mit dem Römerbrief (Röm 3, 29) argumentiert.

Zwischen Rom und Byzanz

Zum Disput mit den Vertretern der römischen Kirche kam es, weil die beiden Brüder ihr missionarisches Unternehmen innerhalb des jurisdiktionellen Hoheitsgebiets der römischen Kirche vorantrieben. Hier zeigt sich nicht nur eine juristische Unumgänglichkeit, sondern wahrscheinlich auch eine theologische Wertschätzung des Bischofs von Rom. Im Zuge der Diskussion, in der Kyrill Papst Nikolaus I von der Richtigkeit der Anfertigung von Übersetzungen in die slawische Sprache überzeugen konnte, wurden feierlich Bibelübersetzungen auf dem Altar des Petersdomes installiert. Hier zeigt sich eine gesunde Flexibilität des kirchlichen Lehramtes. Tradition meint nicht starre Fixierung, sondern lebendig-organische Entfaltung.  Bulgarien und Mähren waren zu dieser Zeit kirchenpolitische Zankäpfel. Die Bitte der Entsendung der beiden Gelehrten nach Mähren, welche Fürst Ratislav an Kaiser Michael III gerichtet hatte, stand im Kontext politischer Unabhängigkeit, womit damals auch eine Eigenständigkeit in kirchlichen Belangen mitintendiert ist. Kyrill und Method sind Grenzgänger zwischen diesen kirchenpolitischen Sphären. Und ein Grund ihrer bleibenden Attraktivität ist wohl, dass sie nicht vorschnell konfessionell vereinnahmt werden können.

Die 1975 gemachten Entdeckungen neuer Handschriften im Katharinenkloster auf dem Sinai hat die Sichtweise auf den ökumenischen Stellenwert des Brüderpaares nochmal erhellt. So ist im euchologium sinaiticum, einer kirchenslawischen Sammlung verschiedener Priestergebet für die Spendung der Sakramente und ein Inventar von Segensformeln, eine aufschlussreiche Mischform von byzantinischen und nicht-byzantinischen Formelementen ersichtlich. In der liturgischen Tradition der Slawen schien es nicht immer eine liturgische Eindeutigkeit zu geben. Dieser produktive Umgang mit liturgischen Gepflogenheiten hat grosse Potentiale zur Annäherung an die Orthodoxe Kirche. Vielfalt ist ein Mehrwert. Dies zeigt sich katholischerseits an der Anerkennung mehrere Ritusfamilien. Leider geniesst der römische Kanon in der orthodoxen Kirchenlandschaft noch keine offizielle Anerkennung. Mit Blick auf die von Kyrill und Method initiierte liturgische Dynamik wäre hier ein Umdenken möglich.

Patrone Europas?

Kyrill und Method sind wichtige Bindeglieder zwischen orthodoxer und katholischer Tradition. Ihr Mut, kulturelle Grenzen zu überschreiten, zeugen vom universalen Charakter des Evangeliums. Auch für die Frage der bleibenden Bedeutsamkeit der Religion in der Frage nach einer europäischen Integration spielen sie eine wichtige Rolle. So entledigte man sich zwar des Kruzifixes und dem Heiligenschein bei der Prägung der slowakischen 2-Euro-Münze. Geblieben aber ist das Doppelkreuz, welches auch das slowakische Nationalwappen ziert und vermutlich von den beiden Missionaren in dieser Region etabliert worden ist. Ein Europa, reingewaschen von allen religiösen Konnotationen, in den unscheinbar-stillosen Mantel weltanschaulicher Neutralität gehüllt, ist nicht erstrebenswert. So ist denn auch ersichtlich, dass das postmoderne Fluchwort «Mission» nicht nur kulturzersetzende, sondern auch kulturerzeugende Aspekte beinhaltet. So kam der Ansporn für die Etablierung eines eigenständigen slawischen Alphabets durch den missionarischen Eifer. Kyrill entwarf vor seiner Abreise ein an die lautlichen Eigentümlichkeiten der slawischen Sprachfamilie angepasstes Alphabet aus 40 Zeichen (Glagolica). Eine Symbolschrift aus Kreuz, Kreis, Linie und Dreieck. Diese Schrift wurde dann im Schülerkreis der Brüder weiterentwickelt und gelang über Bulgarien nach Russland. Peter der Grosse entwirft dann eine Zivilschrift und passt die Schriftzeichen wiederum stärker an das westliche Alphabet an. Im Ursprung des Kyrillischen stand die Hochachtung der Missionare für den Eigenwert des Slawischen und die Förderung dieser Sprache. So trägt den die bulgarische Nationalbibliothek die beiden Brüder im Namen, was auf ihre Wichtigkeit für die slawische Kultur hinweist. Daneben gibt es aber auch regionalistische Vereinnahmungen. So wird in Makedoniern und Bulgaren leidenschaftlich darüber gestritten, ob die Mutter der Slawenapostel denselben bulgarische oder makedonische Muttermilch eingeflösst hat. Über die genaue ethnische Herkunft des Brüderpaars herrscht wissenschaftlich keine klare Übereinkunft. Auch die Kommunisten versuchten die beiden Brüder für sich zu vereinnahmen: So erdreistete sich der tschechoslowakische Kulturminister im Zuge der 1100. Todestag von Method den Friedensapostel als Protokommunisten zu propagieren. Nicht ohne Protest der in Velehrad versammelten Gläubigen. Im Zuge der EU-Osterweiterung und dem Beitritt Bulgariens 2006 wurde der frevelhafte Vorschlag der Änderung des kyrillischen ins lateinische Alphabet diskutiert. Ökonomische Vorteile unterlagen identitätspolitischer Selbstvergewisserung. So hat die EU seither drei offizielle Schriften.

In den Bestrebungen von Kyrill und Method begegnet uns ein Aggiornamento avant la lettre. Bedenkenswert und zukunftsweisend.

Gian Rudin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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