Was Jona mit Kafkas «Schloss» verbindet

An diesem Wochenende ist eine Lesung aus dem Buch Jona vorgesehen, dem Propheten wider Willen, der aufgrund seiner Weigerung, Ninive die bevorstehnde Vernichtung vorherzusagen, zum temporären Walfischbewohner wird. Und als er nach dieser hinreichend eindrücklichen Erfahrung doch Unheil verkündend durch die drei Tagesmärsche breite Grossstadt zieht, erwartet ihn nichts als Frustration: Die Städter bereuen und beginnen nicht nur selbst, zu fasten, sondern lassen sogar ihr Vieh Bussgewänder tragen – woraufhin Gott prompt seine Meinung ändert und Ninive doch nicht zerstört. Am Ende sitzt der somit der Lächerlichkeit preisgegebene Jona verbittert unter einem verdorrten Strauch am Stadtrand, wünscht sich den Tod und hadert mit seinem Gott. Ein richtiger Schluss ist das nicht, schon gar nicht einer, den man von einem biblischen Buch erwartet.

Hohe Frustrationstoleranz ist auch für LeserInnen von Kafkas Roman «Das Schloss» angebracht, in dem der Landvermesser K. versucht, mit einer Behörde (dem Schloss) in Kontakt zu treten, die über sein Schicksal entscheiden kann, die aber entweder nicht erreichbar ist oder völlig surreal reagiert. Zunehmend verzweifelt und völlig vergeblich macht er das, ein ganzes Buch lang – und dann ist es auch noch unvollendet geblieben. Vielleicht hatte nicht einmal mehr der Autor die Kraft, es zu einem runden Schluss zu bringen.

Deutungsversuche für das Schloss gibt es viele, mir gefällt am Besten die Interpretation, dass K. sich der Macht des Schicksals gegenüber findet – willkürlich behandelt, ohne Rücksicht oder Verständnis, ohne selbst verstehen zu können, warum das unnahbare Schloss so handelt, wie er es erlebt. Immer mit dem Verdacht, dass das Schloss womöglich keinerlei Fähigkeit zur Vernunft hat und völlig dem Zufall überlassen ist, ob er die Genehmigungen bekommt, die er so nötig braucht.

Ähnlich dürfte sich Jona am Ende seiner Geschichte fühlen: Von Gott zum Propheten bestimmt ist sein Versuch, seinem Schicksal zu entkommen, gründlich fehlgeschlagen. Und wie sich sein Verhältnis zu seinem Schicksal, zu seinem Gott entwickelt, ob er es schafft, es zu akzeptieren, bleibt offen. Nur in einem ist das Jona-Buch dramatisch optimistischer als Kafka: Gott handelt nicht blind, sondern aus Mitleid mit den Menschen in Ninive zerstört er die Stadt nicht. Und Jona kann, anders als K., der nie eine Erklärung aus dem Schloss bekommt, sich dem Mitleid Gottes anschliessen, oder in sich selbst gefangen bleiben.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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