Gott in der Dorfstrasse – Unsere Mission von Weihnachten her denken

Eine Gruppe von 50 Menschen, aufgespannte Schirme, Füsse, die hin und her scharren damit sie ein bisschen warm bleiben. Wir stehen in der Heiligen Nacht auf einem kleinen Platz im Quartier Dorfstrasse. Die Weihnachtsgeschichte ist zu hören. Mit Flöte und Geige erklingt «Oh du fröhliche».  Es wird gesegnet und gebetet. Eine der Fürbitten ist für Silvia. Sie wohnte um die Ecke. Doch die Nachbarn konnten nicht zur Beerdigung. Der Abschied blieb unvollendet. Jetzt tut das Gebet gut.

Wir feiern Weihnachten draussen. So, wie es halt geht. Ein Feuer brennt. Ein Weihnachtsbaum leuchtet. Neben dem Friedenslicht liegt das Kind in der Krippe. Im Normalfall würde die Holzskulptur das Pfarreisekretariat schmücken, im Normalfall. Aber was ist derzeit schon normal? Was ist überhaupt normal an Weihnachten? Jetzt liegt das Kind hier draussen.

Gott ist zu uns gekommen! Nicht nur nach Bethlehem, auch in die Dorfstrasse – und an weitere acht Gottesdienstorte in unserem Dorf. Das war Weihnachten anders! Es war feucht und es war kühl. Es war emotional dicht. Es war Weihnachten! «Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht.» (Jes 9, 1)  

Gott scheut keine Hürden – nie! Gott kennt keine Grenzen! Gott ist unkonventionell! Er liess sich schon immer so einiges einfallen, um bei uns anzukommen. Gott denkt und handelt out of the box, dauernd. Gott kennt keine Comfort-Zone! Er verlässt den Himmel. Er kommt. Er lässt sich finden. Das gilt bis heute.

Auf diesem Platz in der Dorfstrasse, ich muss es gestehen, bin ich gedanklich aber auch ein bisschen abgeschweift. Mein Blick fiel auf die umliegenden Häuser. Hier und da trat jemand auf den Balkon. Da und dort wurde ein Fenster geschlossen.

Gilt die Weihnachtsbotschaft nicht auch den Menschen auf den Balkonen und hinter den Fenstern? Was müsste eigentlich passieren, damit sich solche Fenster künftig nicht mehr schliessen? Wie müssten wir als Christinnen und Christen leben und verkünden? Unter welchen Bedingungen wäre das glaubhaft, dass Gott Mensch wurde und gegenwärtig ist für alle? Dass ist meine Weihnachtsfrage: Was brauchen Menschen, dass sie ihre Fenster und Balkontüren, vor allem aber ihre Herzen für Christus einen Spalt weit auf machen?

Eines ist mir klar: So, wie wir seit Jahren Kirche «machen», funktioniert es nicht. Das ist offensichtlich. Keine Chance! Das heisst aber im Umkehrschluss: Was hindert uns daran, etwas anders zu machen? Versauen können wir nicht mehr viel! Definitiv nicht!

Wie wäre es also, wenn wir auch als Kirche künftig vermehrt out of the box denken und handeln würden? So wie Gott! Wenn Gott an Weihnachten seine Comfort-Zone verlassen hat, dann könnten, dann müssten wir das doch auch tun!  

Am 6. Januar lesen wir im Tagesevangelium von den drei Magiern. Matthäus beginnt sein Evangelium damit, dass die «Ungläubigen» Gott suchen und finden. Menschen aus dem Osten, «Heiden».  Jene also, die Gott bisher nicht auf dem Radar hatten. Menschen, die Gott nicht kennen, die aber eine Sehnsucht haben. Leute, die einen Lichtblick suchen und eine Perspektive und eine Vision, die sie im Leben trägt. Das Evangelium sagt: Gott hat diese Menschen auf dem Radar! Gott will in diese Leben hineinkommen.

Und ich meine, sie alle haben ein Recht darauf, das zu wissen. Und wer sollte es ihnen sagen, wenn nicht wir? Gott, der eine und einzige, möchte der Gott für alle sein! Und nicht nur für wenige! Und das zu verkünden ist unser Auftrag als einzelne Getaufte. Und als verfasste Kirche erst recht. So endet nämlich das Matthäusevangelium: Dass das Kind aus Bethlehem, Christus, der Auferstandene, seine Jüngerinnen und Jünger in die Welt sendet. Zu «allen Völkern»! Also auch in die Dorfstrassen dieser Welt!

Die drei Weisen zogen nach der Begegnung mit Jesus «auf einem anderen Weg in ihr Land.» (Mt 2,12) Genau das sollte wir tun. Wenn die alten Wege ausgetreten sind oder sogar ins Verderben führen, dann wird es Zeit für neue Wege. Die Begegnung mit dem Kind in der Krippe erneuert und erleuchtet uns und unsere Wege. Zumindest hat Gott sich das so gedacht. Ich halte nichts von allzu gewagten Kausalitäten. Aber Weihnachten 2020 könnte uns lehren, dass es Zeit ist für Neues. Die Frage ist: Sind wir bereit? Es wäre wichtig. Es wäre höchste Zeit, dass auch uns ein Licht aufgeht!

Christian Kelter

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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