Stay flexible!

Die gestrige Lesung (Zefanja 3, 1-2; 9-13) und das im Tagesevangelium (Matthäus 21, 28-32) vorgetragene Gleichnis umkreisen Grundfragen menschlicher Existenz. Es geht um Flexibilität und Weltoffenheit. Aber auch Verbissenheit und Halsstarrigkeit sind anklingende Themen. Da ist die Rede von der verhärteten Stadt, welche nicht mehr die Nähe Gottes sucht, sondern sich lieber dem endlosen Kreisen um sich selbst hingibt. Da ist vom hartnäckigen Trotz Uneinsichtiger die Rede, unfähig ihren Blick zu wenden. Trotz kann natürlich auch im Sinne einer Standfestigkeit und notwendigen Selbstbehauptung verstanden werden. In der Sprachentwicklung des Kindes bildet die 1. Trotzphase mit der dazugehörigen Fragerei eine wichtige Stufe der Selbsterkundung. Aber wenn Trotz und Widerspenstigkeit zu Konstanten des Lebens werden, entsteht eine bedrückende Atmosphäre der Negativität. Überdies mahnt der Prophet überhebliche Prahler zur Umkehr. Prahlerei ist eine meist peinliche Form der Selbstüberschätzung mit destruktivem Beigeschmack. Der Prahler nimmt zu viel Raum ein und bedrängt dadurch die berechtigte Anwesenheit von Andersartigem. Erinnert sei hier noch an den Spötter, welcher im ersten biblischen Psalm in ein schlechtes Licht gerückt wird. Dieser kann vieles verlachen und geringschätzen. Die grosse Geste des Schmunzelns über die Begrenztheit des eigenen Selbst sucht man bei dieser Personengruppe leider oft vergeblich. Zum Schluss lobt Zefanja den Demütigen als Paradigma für eine gelungene Lebensführung. Demut ist hier wohl weniger verstanden als spezifische Charaktereigenschaft, sondern als Haltung, welche dem Tun des Menschen grundsätzlich eingeschrieben ist. Demütige kennen eine gewisse Unbefangenheit in der Hoffnung. Ein Leben, welches von Demut geprägt ist, lässt sich vom Besseren überraschen, welches den eigenen Horizont überflügelt.

Das Evangelium fokussiert, wie so oft in der Adventszeit, auf den Stellenwert der Umkehr. Derjenige Sohn erfüllt den Willen des Vaters, welcher die Fähigkeit zur Reue besitzt. Nachdem er die Arbeit im Weinberg zu Beginn aus welchen Gründen auch immer ausgeschlagen hat, ändert er die Tendenz seines Willens, rafft sich auf und begibt sich zur Arbeit in den Weinberg. Die hier zum Vorschein kommende Dynamik, die Möglichkeit zur anpassungsfähigen Ausrichtung des eigenen Strebevermögens, wird seliggepriesen. Sie korrespondiert mit dem Hören auf die Umkehrworte des Täufers. Diese adventliche Potenz des Umschwenkens zeugt von der Grandeur des menschlichen Geistes. Die Lähmung durch die ausschliessliche Fixierung auf die eignen Bedürfnisse und Plausibilitäten wird durch einen Perspektivenwechsel bereichert. Diese Bewegung der Blickrichtung trägt wird im Griechischen mit dem vielzitierten Wort μετάνοια (metanoia).

Der Mensch als lebendige Struktur

Wenn man davon absieht, den Menschen als mechanisches System zu betrachten und versucht ihn als lebendige Struktur zu begreifen, welche sich durch dynamische Prozesse verändern kann, dann bewegt man sich auf der Linie des Freiburger Philosophen Heinrich Rombach und seiner sogenannten Strukturanthropologie. Hinter dem etwas sperrigen Begriff verbirgt sich ein aussichtsreiches Denkgebilde. Anstatt den Menschen als geschlossenes System oder in sich ruhende Substanz zu verstehen, ist eine strukturelle Sichtweise auf den Menschen besser Einflüsse von Ausserhalb ins eigene Selbstverständnis zu integrieren. In diesem Zusammenhang spricht Rombach von der Offenheit des menschlichen Daseins. Das Selbst, welches die eigene Identität zwanghaft nur in sich selbst zu finden hofft, verliert den unverzichtbaren Blick auf das Aussehalb-seiner-Selbst. Das Fremde  und Herausfordernde wird als Bedrohungen wahrgenommen, welche einen Strukturzerfall durch Verhärtung einer Situationsgrenze initiiert. Doch Grenzen dienen gemäss dem Phänomenologen Rombach nicht zur definitiven Einkapselung, sondern als Signale die Potentiale des Selbst zu vergrössern. Die Grenze ist situativ, dass meint, sie spiegelt eine bestimmte Lebenssituation. Diese aber kann gemäss dem Strukturprinzip permanent verändert und so zum Guten wie auch zum Suboptimaleren weiterentwickelt werden. So tritt denn in der Vorstellung Rombachs das Lächeln als Sozialform dem bissigen Spott entgegen. Lächeln und Humor offenbaren Sensibilität und Entgegenkommen. Bereitschaft den eigenen Standpunkt zu verlassen und sich in Bewegung zu versetzen. In der Fähigkeit zum Humor spiegelt sich ein agiles Weltverhältnis. Es hätte auch anders kommen können. Als Gegenbegriff zur Offenheit des menschlichen Geistes spricht Rombach von dessen Borniertheit. Ein engstirniger Geist ist demnach ein Verfallsphänomen möglicher menschlicher Weitherzigkeit. Ein Horizontausfall, welcher im Katastrophenfall in eine Diktatur des Ressentiments einmündet. Rombach spricht von einer Verkürzung wahrer Menschlichkeit. Borniertheit und Offenheit als Grundalternativen des Daseins stellen den Menschen vor die Wahl. Die Kreativität des Genies hat hier ebenfalls seinen Ursprung. Eine Genie gebiert das Innovative nicht durch ein regelgeleitetes Schlussverfahren, sondern er erschafft Neues, Unerwartetes. Dies kommt eindrücklich in Michelangelos «Erschaffung Adams» zum Vorschein. Das Nicht-Berühren der beiden Fingerspitzen deutet Rombach im Sinne einer Erhebung Adams zur Selbstgestaltung. Gott fertigt den Menschen nicht im Sinne einer deterministischen Maschine, er setzt ihn frei. So ist der Mensch eben nicht eine festgefügte Substanz, sondern eine bewegliche Struktur. Und das wäre dann auch eine ideale Voraussetzung zu adventlichen Menschen zu werden und die Stimme des Rufers in der Wüste in Ergriffenheit versetzt zu werden.

Gian Rudin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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