Amtsgeheimnis – Secretum pontificium

Im Gefolge der Wirren um die Churer (Nicht)Wahl und die unzähligen Beiträge dazu hier im Medium kath.ch, aber auch etwa in der NZZ, schiebe ich nun in gebührendem Abstand meine Weihnachtsbetrachtung zum Thema nach, um das es in diesem casus eben auch ging.

Undifferenziert gesagt geht es um diese Frage: Soll alles publiziert werden und an die Öffentlichkeit gelangen, was in innersten Zirkeln der (politischen, kirchlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen) Macht diskutiert wird, was an Argumenten ausgetauscht wird und was an Kontroversen in diesen Diskussionen aufschien? Besteht gar ein Recht auf absolute Öffentlichkeit?
Etwa die Sitzungen der Regierung: Ist es wirklich gut bzw. nötig, wenn das ganze Land nicht nur erfährt, wie der Bundesrat entschieden hat, sondern welche Ausgangspositionen im Gremium vorhanden waren, welche Zusatzberichte die Departemente eingereicht hatten, und in welcher Konstellation der Entscheid dann schliesslich fiel?
(In den letzten Monaten etwa tauchten bereits vorgängig der Bundesratssitzungen immer wieder Indiskretionen zum Thema Covid und Covid-Massnahmen auf. Und im Nachgang erfuhr man häufig, welche Bundesräte wie abgestimmt hatten. Folge war etwa erst kürzlich, dass Monsieur Berset höchstpersönlich vorgängig und öffentlich schon Mutmassungen äusserte…)

Nun existiert in der katholischen Kirche auch eine Art Amtsgeheimnis, das secretum pontificium. Man erlaube, dass ich zunächst die Definition liefere:
Als päpstliches Geheimnis (secretum pontificium) wird eine Schutzmaßnahme innerhalb der Kirche bezeichnet, der bestimmte Vorgänge mit strenger Geheimhaltungspflicht unterliegen (sub secreto pontificio). Sie wird angewandt zum Beispiel bei der Vorbereitung von Kardinals- und Bischofsernennungen, bei der Erstellung wichtiger Dokumente und bei Vorgängen im Bereich der Glaubenskongregation, die den Schutz des Glaubens und das Bussakrament betreffen. Sowohl der Papst als auch die Präfekten und päpstliche Gesandte können Vorgänge unter den Schutz des secretum pontificium stellen.

(Wer sich noch für viel mehr Kirchenrecht interessiert, lese den Vortrag, den der verstorbene Prälat – einst wohl auch als Huonder-Nachfolger aufgebaut – Stephan Stocker am 3.März 2008 vor dem Churer Domkapitel hielt, dokumentiert in der SKZ 31-32/2008, S.508-522)

Kommen wir nun zum (Deutschschweizer) System der Bischofswahl und Bischofsernennung. Diese «strenge Geheimhaltungspflicht» betrifft einerseits das Verfahren, während dem die Nuntiatur sich nach fähigen Kandidaten erkundigt, wie den gesamten Ablauf allfälliger Wahlen, sie betrifft also innerkirchliche (Domkapitel) wie staatskirchenrechtliche Gremien, die in das Prozedere einbezogen werden müssen.
Praktisch nie in den letzten Jahrzehnten hielten sich diese Gremien an das secretum. So erfuhr man etwa 1994 aus dem Bistum Basel, welcher Kandidat durch welchen Standesherren diskreditiert wurde, so erfuhr man 2006 in St.Gallen, welche Kandidaten auf der Sechserliste gestanden hatten, und im Bistum Chur erfuhr man sowohl 2007 wie 2020 fast alles Spannende, Namen, Abstimmungsergebnis, ja sogar Inhaltliches. Natürlich liegt in jedem dieser Fälle ein ethisches Fehlverhalten eines oder mehrerer Involvierter vor. Doch sehe ich schon noch Unterschiede: Wenn in St.Gallen ein Kirchenparlament mit 180 Mitgliedern die Namen auf der Liste erfährt, und die Journalisten nach der bekannt gemachten Sitzung vor den Türen auf News lauern, ist doch höchst fraglich, ob wirklich alle 180 dicht halten. Dass aber ein geschlossenes Gremium wie ein Domkapitel (BS, CH, SG) oder eine Diözesankonferenz (BS), das sich aus lauter ehrbaren und verantwortungsbewussten Menschen zusammensetzen sollte, nicht dicht ist und alle möglichen Interna nach aussen weitergibt, befremdet mich. (Natürlich, liebe Churer, lässt sich auch fragen, warum beim besten Willen Ihr auch noch ein Protokoll der Verhandlung erstellen und versenden lässt!)

Gerade auch weil der erst kürzlich erfolgte bewusste Verzicht des Vatikans auf das secretum bei Missbrauchsfällen (am 17.12.2019 durch Papst Franziskus) dessen Seriosität stärkte, kann schon gefragt werden, wem nun gedient ist, wenn die ganze Welt erfährt, welche Schwächen und Mängel die auf einer Liste Vorgeschlagenen haben mögen. (Zumal etwa der Vorgang 1994 aufzeigte, dass auch bösartige Intrigen im Spiel sein können.)


Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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