«Freut euch!» – Zur Machbarkeit von Gefühlen

Die Lesung des dritten Aventssonntags hat es in sich: Gerade mal 20 Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung schreibt Paulus seine Vorstellungen von einem gelingenden Leben: «Betet ohne Unterlass», «Prüft alles, das Gute behaltet» und vor allem «Freut euch zu jeder Zeit!».

Dafür gab es schon einfachere Zeiten. Für Paulus haben Gefühle wie Freude offenbar mit einer Entscheidung zu tun. Schwierig, wenn in einer ganz andere Gefühle dominant sind, weil das Hirn mal wieder in die Massenproduktion von Stresshormonen eingestiegen ist – was mir jedenfalls zur Zeit öfter passiert. Die Frage ist: Haben meine Gefühle Recht? Also, entsprechen sie der Wirklichkeit, in der ich mich befinde? Wenn im nächsten Moment der (hier schon mal zitierte) Säbelzahntiger um die Ecke biegt, dann ist eine gehörige Portion Angst Aufmerksamkeits- und Fluchtbereitschafts-fördernd, was in diesem Fall sehr viel Sinn macht – aber in anderen, vermutlich häufigeren, wenig.

Die Wirklichkeit ist für Paulus ganz von der unerkannten Gegenwart Gottes mitten unter uns geprägt. Deshalb kann er vom Gebet ohne Unterlass sprechen, das möglich ist, ohne bewusst an Gott zu denken – weil alles in Gottes Gegenwart geschieht. Und er braucht keine Berührungsängste, sondern kann in allem das Gute suchen – weil Gott in allem Guten dabei ist. Aber die Sache mit der Freude ist vermutlich am Wichtigsten in solchen Zeiten: Nicht als Verpflichtung oder gar Befehl (das geht bei Gefühlen gar nicht), sondern als Erlaubnis: Weil Gott in jedem Moment unter uns ist, deshalb haben wir das Recht, uns so zu verhalten, dass wir uns freuen können. Zumindest mein Gehirn ist zur Zeit mit seinem Hormonausschüttungs-Teil kein zuverlässiger Indikator der Wirklichkeit, also bekommt es etwas Unterstützung vom Grosshirn, das sagen kann: Ja, es ist schlimm. Aber weniger schlimm, als es sich anfühlt.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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