Rituale der Bibel sind gerade jetzt aktuell

Die westliche Gesellschaft wird auch als christliches Abendland bezeichnet. In der Tat basieren viele Rituale auf der Bibel. Rituale spielen als wiederkehrende, festgelegte Abläufe im Leben eine wichtige ordnende und strukturierende Rolle. Wie prägend die Rituale der Bibel in der heutigen Gesellschaft immer noch sind, erklärt der Philosoph Konrad Paul Liessmann.

«Mit der Adventszeit beginnt sie wieder, die Hochzeit der Rituale. Für Konrad Paul Liessmann haben sie Zwangscharakter – und sind gerade deshalb befreiend», erklärt der Professor für Philosophie an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech in einem Interview mit dem Newsportal von SRF. «Die Nüchternheit des modernen Menschen steht durchaus im Widerspruch zu seiner verborgenen Sehnsucht nach kollektiven rituellen Handlungen. Das zeigt sich besonders an Weihnachten», erläuterte der Philosph in einer Kolumne in «Neuen Zürcher Zeitung».

Rituale verweisen in die Zukunft

Der Philosphie-Professor hat beobachtet, dass der moderne Mensch kein besonderer Freund von Ritualen ist. Jedes Mal zur Weihnachtszeit, wenn die Adventsmärkte aufgebaut, die Geschäfte geschmückt, die Plätze, Fenster und Wohnungen beleuchtet werden, denkt er gerne kritisch über den Sinn solch eines geschäftigen, von einem unbeugsamen Willen zum Kitsch gekennzeichneten Treibens nach. Der religiöse Hintergrund solch ritueller Feste ist ihm ebenso suspekt wie die Degradierung derselben zu einem globalen Konsumrausch. Auf solch leere Rituale, so seine These, könnte man auch verzichten. Trotzdem folgert Konrad Paul Liessmann: «Rituale verweisen in die Zukunft, weil sie in der Vergangenheit schon gültig waren. Rituale orientieren sich an der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen.»

Segen spenden

In seinem Aufsatz «Die Kunst der Wiederholung und ihre Rituale» im Buch Ritual schreibt Konrad Paul Liessmann: «Alle können die Atmosphäre in einer Gruppe oder einem Raum auf einfache Wege positiv beeinflussen. Das Geheimnis ist ein sehr altes Phänomen, das schon in der Bibel beschrieben wird: Segen. Das lateinische Wort dafür ›benedicare’ heisst wörtlich übersetzt ›Gutes sagen’.» Der Professor empfiehlt daher: «Wünschen Sie den Menschen, mit denen Sie zu tun haben, Gutes. Probieren Sie es aus, indem Sie morgens einen Segen vor sich herschicken. Segnen Sie still alle, die Sie vermutlich treffen werden – auch jene, zu denen Sie ein konfliktreiches Verhältnis haben. Segnen Sie Ihre Arbeitsstelle und andere Räume, die Sie während des Tages betreten. Sie werden im Laufe des Tages spüren, dass die Räume, Dinge und Menschen dadurch eine besondere Verbindung zu Ihnen bekommen.»

Rituale verlangen einen Ursprung

«Rituale haben zwei wichtige Funktionen: Im Vollzug eines Rituals weiss ich, was ich zu tun habe – und das ganz ohne Nachdenken. Das ist etwas unglaublich Erleichterndes», sagt Professor Konrad Paul Liessmann zu SRF und ergänzt: «Ein Ritual ohne Verbindlichkeit ist keines. Rituale sind deshalb lebensnotwendig für Gemeinschaften aller Art.» Gemäss dem Philosophen verlangen Rituale nach einem bedeutsamen Ursprung und verweist wieder auf die Bibel: «Ein Ritual braucht ein erstes Mal, das dann wiederholt wird – denken wir an das christliche Abendmahl. Die Abendmahlsformel zeigt das exemplarisch: ›Tut dies zu meinem Gedächtnis.’»

Markus Baumgartner

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