Eine tüchtige Geschäftsfrau – oder: Wenn die Bibel kirchlichen Vorstellungen nicht entspricht

Es lohnt sich immer wieder, bei den kirchlich vorgesehenen Lesungstexten darauf zu achten, was ausgelassen wird. So auch in dem für heute (33. Sonntag) vorgesehenen Text aus dem Buch der Sprüche: Kapitel 31, die Verse 10–13, 19–20 und 30–31 sollen im Gottesdienst gelesen werden, das «Lob der tüchtigen Hausfrau» hat Luther übersetzt.

Zum vorgesehenenen Text passt das auch. Da hören die Mifeiernden über die beschriebene Frau «Sie sorgt für Wolle und Flachs und arbeitet voll Lust mit ihren Händen. Nach dem Spinnrocken greift ihre Hand, ihre Finger fassen die Spindel.» Klingt nach einer Frau, die schon in der Schule das Fach «textiles Gestalten» geliebt hat. Nur: In der Bibel steht das nicht so. Da macht die Frau zwischen Wollkauf (Vers 13) und der Spinnerei (Vers 19) noch allerhand anderes, nämlich: «Sie überlegt es und kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg. Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark. Sie spürt den Erfolg ihrer Arbeit» (Verse 16-18a). So hausfraulich klingt das nicht.

Und weiter gehts bei der nächsten Auslassung: Vorgesehen ist der Text «Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen. Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit». Caritative Tätigkeit scheint hier die Alternative zu übertriebener Schönheitspflege zu sein. Aber wieder steht im biblischen Text zwischen Vers 20 (dem sozialen Engagment) und Vers 30 (dem Hinweis auf Altersfalten) noch einiges anderes, ich zitiere hier den ganzen Abschnitt Vers 22-27:

«Sie hat sich Decken gefertigt, Leinen und Purpur sind ihr Gewand. Ihr Mann ist in den Torhallen geachtet, wenn er zu Rat sitzt mit den Ältesten des Landes. Sie webt Tücher und verkauft sie, Gürtel liefert sie dem Händler. Kraft und Würde sind ihr Gewand, sie spottet der drohenden Zukunft. Sie öffnet ihren Mund in Weisheit und Unterweisung in Güte ist auf ihrer Zunge. Sie achtet auf das, was in ihrem Haus vorgeht, Brot der Faulheit isst sie nicht.»

Das entspricht nun überhaupt nicht dem Hausfrauen-Klischee. Der Ehemann dieser Geschäftsfrau ist offenbar in erster Linie aufgrund ihrer beruflichen Erfolge angesehen, auch hat sie offenbar in der Grossfamilie und auch der Öffentlichkeit mindestens so viel zu sagen wie er. Klingt nach einer Beziehung, in der die Rollen anders verteilt sind, als es der Vorstellung der (überwiegend) Männer entspricht, die heute noch davon reden, dass Frauen «andere Begabungen» hätten als Männer.

Ob die Auslassungen absichtlich so vorgenommen wurden, dass sie einem bestimmten Frauenbild entsprechen, oder ob da jemand unbewusst gestrichen hat, was seiner Vorstellung nicht entsprach, weiss ich nicht. Tatsache ist, sie verändern die Bedeutung des Textes, indem sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau in eine handarbeitende Hausfrau verwandeln. Wie schon zu Luthers Zeiten: Es empfiehlt sich, die Bibel selber zu lesen.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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