Keine Wahrheit ist unangreifbar

Soweit der zweite der neun NZZ-Leitsätze. Wie einfach und wie wahr zunächst. Wissen wir doch schon seit des Alten Wirken in Königsberg, dass es absolute Wahrheiten nur innerhalb theoretisch geschlossener Systeme geben kann, also etwa in der reinen Mathematik (eine Erkenntnis, die deutlich später von Ludwig Wittgenstein weitergedacht und in den «Philosophischen Untersuchungen» anhand des Begriffs der «Sprachspiele» auch auf nicht rein theoretisches Definieren, nämlich das innerhalb klar geschlossener sozialer Gruppen existierende, weitergedacht wurde).

Nun aber treten fast alle Religionen genau mit dem seit Kant widerlegten Anspruch auf, dass sie nämlich im Besitz absoluter Wahrheiten sind, und dass genau diese Wahrheiten Mensch und Menschheit retten, sprich zur Vollendung in ihrer Endlichkeit führen können. So definierte Luther etwa, dass allein die Gnade und nicht die Werke gerecht und selig machen. So erklärt das Judentum den Gottesnamen JHWH für unaussprechbar und damit der Nennung verboten. So verbieten viele im Islam, dass der Prophet irgendwie abgebildet werden darf. So beharrt seit JP II der Katholizismus darauf, dass die Frage der Ordination der Frau für immer negativ entschieden sei. Und so fort…

(Um nun wieder Wittgenstein zu zitieren: Natürlich sind das alles Sprachspiele, die nur innerhalb einer konkreten Glaubensgemeinschaft als allgemein gültig und unhinterfragbar erklärt werden können. Und wenn eine Religion wie das Judentum in liberale und orthodoxe Gruppen, und wenn die katholische Kirche ebenso in konservative und in der Moderne zugewandte Gruppen unterteilt werden kann, sind diese Sprachspiele nicht einmal in der gesamten Religion absolut wahr und gültig.)

Es folgert darum aufgrund von philosophischer Logik und intellektueller Redlichkeit, dass es genau in religiösen und theologischen Fragen keine einzige Wahrheit gibt, die nicht bestritten bzw. angegriffen werden darf. Der (vgl. H.Küng und seine Trias) Dialog zwischen den Religionen und die von ihnen geforderte Grundlagenforschung machen dies sogar notwendig. Denn nur so könnte eventuell weltweit Frieden in Gerechtigkeit gesichert werden. Wer absolutistisch auf seinen eigenen absoluten Wahrheiten beharrt, mag sich zwar in Sicherheit wiegen, gefährdet aber ein friedliches Zusammenleben der Menschheit. Alles, was uns im Umfeld des militanten Islamismus in den letzten 20 Jahren begegnet ist, bestätigt diese harte These.

Ich bleibe zum Schluss nun bei meiner Kirche. Ist es unter den Bedingungen des 21.Jahrhunderts überhaupt noch verantwortbar, das von JP II erlassene Denkverbot in Sachen Frauenordination (zudem immer noch mit einem fragwürdig-dummen Bezug auf die reine Männerschar um Jesus von Nazareth vor über 2000 Jahren) aufrecht zu erhalten? Liebe Lesende, die meisten von Ihnen kennen ja längst meine These: Wenn man zur katholikalen Sekte werden will: Ja. Ansonsten: Nein.

Heinz Angehrn

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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