Wunder!?!

Philosophische Einsichten

Eine religionsbezogene Gretchenfrage könnte lauten: Wie hast du’s mit Wundern? Auf der Grundlage der empirischen Weltsicht hat der schottische Philosoph David Hume eine wirkmächtige Kritik der jesuanischen Wundererzählungen und darüber hinaus, an jeglichen Phänomenen mit supranaturalistischem Beigeschmack formuliert. Das Zeugnis der Apostel hält er für unglaubwürdig, weil es der Wahrnehmung des alltäglichen und gesunden Menschenverstandes widerspricht. Er verlässt sich bei seinen Aussagen über das Wirkliche und Mögliche nur auf matter of facts. Besonders relevant ist Humes Definition eines Wunders als violation of the laws of nature. Was dieser aber unter einem Naturgesetz genau verstanden wissen will, bleibt er der Leserschaft seiner Schriften schuldig. Er subsumiert unter seinem Wunder-Begriff alle mirakulösen Begebenheiten des Neuen Testaments, ohne dabei beispielsweise zwischen Heilungs-und Naturwundern zu differenzieren. Weniger engstirnig und weitaus nunancierter scheint dagegen Augustinus über Wunder nachzusinnen. Er argumentiert von der Schöpferkraft Gottes her: Gott hat die Welt dermassen komplex erschaffen, dass die menschliche Erkenntnisfähigkeit nur begrenzt und zögerlich der Vielschichtigkeit des Kreatürlichen gewahr wird. Ein Wunder geschieht ihm gemäss also nicht gegen die Natur, sondern allenfalls durch die Begrenzung der menschlichen Naturerkenntnis zu erklären. Obwohl Augustinus auch von der göttlichen Allmacht und deren Fähigkeit zur Überwindung der Naturordnung ausgeht, zeigt sich bei ihm doch eine erstaunliche Wissenschaftsfreundlichkeit. Jedoch zeigt er, und in diesem Sinn ist er ganz modern, die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit auf. Er traut ihr aber zu sich zu entwickeln und sie die Schau der Wirklichkeit zu vertiefen. Auch der Blick auf einen weiteren christlichen Denker, welcher dem scheinbar so dunklen Mittelalter zugeordnet werden soll, offenbart eine grössere Weiträumigkeit im Denken als jener simple und mit aufklärerischem Pathos dargelegte Positivismus eines Davis Humes. Thomas von Aquin benutzt in seinem Nachdenken über Wunder das Konzept der Zweitursächlichkeit. Damit wird er nicht nur dem Schöpfungsverständnis des hebräischen Denkens gerecht, sondern nimmt gewissermassen auch evolutionsbiologische Einsichten vorweg. Der Schöpfung wohnt eine Tendenz zu Eigenwirksamkeit inne. So ist sie nicht nur Produkt, sondern selbst zu kreativem Schaffen befähigt. Das gehört laut Thomas zum Grundbestand der guten Schöpfung. Sie ist nicht nur passiv Dahingeworfenes, sondern aktiv Formgebendes. Es gehört zur Ehre des Schöpfers, dass der Mensch sich selber regulieren kann und durch seinen Vernunftgebrauch optimal mit den Gegebenheiten umzugehen vermag. Das Wundersame wird nicht nur wie ein Blitzeinschlag aus der Transzendenz gewirkt, sondern durch innerweltliche Ursachen mitverursacht.

Biblische Zuversichten

Ein Blick ins Neue Testament mag verdeutlichen, dass der Versuch einer naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Wundern in die Irre führen kann und somit unnötige Grabenkämpfe eröffnet. Die Wunder Jesu werden hier als Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft erzählt. Diese Zeichen haben für diejenigen, welche mit ihnen konfrontiert werden eine unumstösslichen Aussagenwert. Gottes Nähe wird so erfahrbar, auch im Medium körperlicher Heilungsprozesse. Diese leibliche-affektive Struktur gehört unbedingt zum Heilswillen Gottes. Da es sich bei den neutestamentlichen Berichten jedoch nicht um medizinische Manuals handelt, hat es auch keinen grossen Sinn diese naturwissenschaftlich zu zerpflücken. Ihr Zauber geht dabei weitgehend verloren. Nicht nur von Jesus werden Wunderhandlungen überliefert, auch Paulus spricht von einem Charisma des Heilens als Gnadengabe in der entstehenden Kirche. Nun ist gerade dieser Begriff im Zuge seiner Auslegungsgeschichte massiv überfrachtet worden. Im Profangriechischen ist damit ein Geschenk gemeint. Ein Stück Geburtstagskuchen hätte man damals auch als charisma bezeichnet. Und Paulus präzisiert dies als Geschenk Gottes durch den Heiligen Geist zum Dienst am Mitmenschen. Der Geschenkcharakter betont hierbei die Unverfügbarkeit der Gabe. Im Laufe der Zeit ist dann aus dem Charisma immer mehr ein Talent geworden, eine Persönlichkeitsmerkmal, welches den Charismatiker vom Rest der Unbegabten abhebt und gewisse narzisstische Begleiterscheinungen mit sich bringt. Charismen betreffen Einzelne in je spezifischen Situationen und sind daher nicht generalisierbar. Diese gottgewirkten Zeichen sind nicht kalkulierbar und entziehen sich menschlicher Manipulationsfähigkeit.

Luzernbieterische Aussichten

Wenden wir uns nun einem Luzerner zu, dessen Seligsprechungsprozess momentan in Rom pendent ist: Niklaus Wolf von Rippertschwand. Im ausgehenden Zeitalter der Helvetik hat sich dieser Landwirt aus dem Weiler Rippertschwand bei Neuenkirch zuerst der Politik zugewendet und sich gegen die zunehmenden Säkularisierungen von kirchlichem Eigentum engagiert. Durch das intensive persönliche Erlebnis einer Gebetserhörung und dem plötzlichen Auftreten einer Heilung, hat er sich intensiver mit der Person Jesu und dessen Wunderheilungen befasst. Er spricht von einem allgewaltigen Vertrauen in den Namen Jesu und dem Gewahrwerden seiner heilsamen Nähe. Seine täglichen Gebete durchglühen ihn mit heissblütiger Gottesliebe und er verspürt den Drang für andere zu beten. Im Laufe der Zeit verbreitet sich sein Ruf als Heiler in der Region und immer mehr Leute suchen ihn auf. Er versteht seinen Auftrag im Zusammenhang mit der Proklamation der Barmherzigkeit Gottes. So ist jedes Heilungsgebet von katechetischen Unterweisungen und seelsorgerlichen Ratschlägen begleitet. Auch die Verwendung von Sakramentalien wie Weihwasser ist ein wichtiger Bestandteil seiner Mission. Ganz augenmerklich ist auch sein Gehorsam gegenüber der kirchlichen Obrigkeit. So nimmt er das zehnmonatige vom Generalvikariat verhängte Heilungsverbot ohne Widerrede an und beugt sich demütig vor der kirchlichen Weisung. Danach heilt er sogar mit bischöflichem Auftrag, was wiederum andere, politische Gegenkräfte mobilisiert. Seine schliche Bodenständigkeit, welche sich auch in seinen ausdrucksstarken Gesichtszügen spiegelt, bringt ihm seinen Rufnamen Vater Wolf ein. Hier zeigt sich auch das innige Vertrauensverhältnis, mit welchem ihm die Leute begegneten. Er verheisst keine Heilungsautomatismus und billigt auch dem Leiden einen wichtigen Stellenwert in der Etablierung der Gottesbeziehung ein. Diese weitverbreitete Leidensmystik mag uns heute befremden, aber sie zeigt auch eine Distanz zu Formen überheblicher Scharlatanerie. Seine Auftritte am Krankenbett werden in den Quellen als unprätentiös und frei von jeder überwuchernder Theatralik beschrieben. Stattdessen verwendet er das Kreuzzeichen und ist im stillen Gebet versunken. Vater Wolf war ein wichtiges Pendant zu einem übermässig kühlen Rationalismus, welcher die Kirche in der damaligen Zeit erfasst hat und auch heute eine Versuchung des Zeitgeistes darstellt. Seine zuweilen frömmlerisch anmutende, aber dennoch aufrichtige Geisteshaltung macht ihn zur Vorbildfigur für einen hingebungsvollen Glauben. Dieser ist nicht einfach sentimental-naiv, sondern eher im Sinne einer gereinigten Naivität zu verstehen. Ein reifer Glaube, welcher sich nicht aus Kleinlichkeit vor weltlichen Erkenntnisfortschritten verschliesst. Trotzdem aber rechnet er mit der uneinholbaren Majestät Gottes, auf welche hin sich unsere Vernunft in Anbetracht ihrer Begrenztheit hoffnungsvoll überschreiten darf.

Gian Rudin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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