Wer sind die Auserwählten?

Gleich zwei mal wird Auswahl getroffen in den für diesen Sonntag vorgesehenen Texten: Im Evangelium (Matthäus, Kapitel 10 am Anfang) wählt Jesus seine engsten Mitarbeiter aus, die er mit nicht ganz einfachem Auftrag (»Weckt Tote auf!») zu einer Art Neuevangelisation (die wohl besser «Neu-Thora-isation» heissen müsste) schickt. Und in der alttestamentlichen Lesung (Exodus, Anfang von Kapitel 19) lässt Gott durch Pressesprecher Mose dem Volk Israel erklären, dass ihm zwar alles gehört, aber sie ganz besonders.

Aus diesem Bewusstsein des Auserwählt-Seins hat Paulus gelebt, als er die nicht jüdischen AnhängerInnen Jesu als eingepropft in den Baum des Volkes Gottes beschrieb. Dass sich das besonderes-Eigentum-Sein jedoch nicht etwa positiv auf Lebensrisiken und Unglück auswirkte, dürfte schon beim Schreiben des Buchs Exodus bekannt gewesen sein – nicht umsonst wird da sofort die Bedingung gestellt, dass das Volk selbst den Bund mit Gott halten muss. So konnte etwa die nächste Heuschreckenplage mit Nichteinhaltung dieser Verpflichtung begründet werden. Wirklich funktioniert hat diese Begründung allerdings nicht lange: Spätestens im Buch Hiob beklagt sich der Namensgeber bitter über das tatsächlich übergrosse Unglück, das ihn getroffen hat, obwohl er sämtliche Gebote Gottes einhielt, sogar vor das Gericht Gottes (!) zieht er Gott – womit dieser zum Angeklagten und Richter in einer Person wird.

Auch den von Jesus Ausgewählten dürfte schnell klar geworden sein, dass sie keine gängigen Vorteile zu erwarten hatten, im Gegenteil, sie werden schon am Ende des Kapitels auf Möglichkeit hingewiesen, dass sie ihren Dienst womöglich mit dem Leben bezahlen müssen.

Was bringt es also, zu der gar nicht so privilegierten Gruppe der Auserwählten zu gehören? Und überhaupt – wer sind die? Ich habe da eine Vermutung: Natürlich gehört Gott heute wie damals die ganze Welt, aber besonders sind für ihn wohl diejenigen, die Jesus wichtig waren. Die kleinen Leute, die leicht übersehen wurden, diejenigen, die Hilfe brauchten und das Geld für Ärzte nicht hatten, denen Unrecht getan wurde, gegen das sie sich nicht wehren konnten. Es könnte sein, dass heute die Menschen mit den Lücken im Lebenslauf, die sich beim Vorstellungsgespräch so schwer erklären lassen, diejenigen sind, die besonders zu Gott gehören. Immer noch ohne Privilegien, immer noch ausgewählt.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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