Konzilshermeneutik der Barmherzigkeit (I)

Gehören mit Ablauf des Jahres 2015 die ausserordentlich zahlreichen Initiativen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen, mit denen von 2012 bis 2015 des fünfzigsten Konzilsjubiläums gedacht wurde, der Vergangenheit an? Anders gefragt: welchen Platz sollen künftig in Seelsorge und Theologie, Kirche und Gesellschaft das Konzil und sein Erbe einnehmen? Unweigerlich wird die Konzilshermeneutik in eine neue Phase eintreten: einerseits wird die auch weiterhin unverzichtbare Beschäftigung mit dem Konzil in den kommenden Monaten und Jahren wohl immer weniger vom Rhythmus der Jahrestage und Jubiläumsfeierlichkeiten bestimmt; andererseits haben die drei Jahre des Konzilsjubiläums eine ungeheure Fülle von Anregungen und Potentialen zu Tage gefördert, die sich nicht zuletzt in einer Fülle von neuer Konzilsliteratur niederschlägt, die der Auswertung harrt. Wie soll mit dieser ungeheuren Menge an Impulsen und Informationen umgegangen werden?
Papst Franziskus hat mit dem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit eine bedeutende konzilshermeneutische Weichenstellung vollzogen. Erinnert sei zunächst nochmals an die Eröffnungsbulle: «Ich habe den 8. Dezember als Eröffnungstermin gewählt, weil er eine grosse Bedeutung in der jüngsten Kirchengeschichte hat. Ich werde nämlich die Heilige Pforte genau fünfzig Jahre nach dem Ende des II. Vatikanischen Ökumenischen Konzils öffnen. Die Kirche spürt das Verlangen, diesen Moment lebendig zu erhalten. Für sie begann damals ein neuer Weg in ihrer Geschichte. Die Konzilsväter hatten stark – wie ein wahres Wehen des Geistes – die Notwendigkeit verspürt, zu den Menschen ihrer Zeit in einer verständlicheren Weise von Gott zu sprechen. Mauern, die die Kirche allzu lange in einer privilegierten Festung eingeschlossen hatten, wurden eingerissen, und die Zeit war gekommen, um das Evangelium auf neue Weise zu verkünden. Eine neue Etappe der immer anstehenden Evangelisierung hatte begonnen. Eine neue Verpflichtung für alle Christen, mit verstärktem Enthusiasmus und voller Überzeugungskraft Zeugnis für ihren Glauben abzulegen. Die Kirche spürte die Verantwortung, in der Welt das lebendige Zeichen der Liebe des Vaters zu sein.»
Eine heutige und künftige Konzilshermeneutik, die dazu dient, das Konzil lebendig zu halten, ist gerade kein Selbstzweck. Eine Konzilshermeneutik der Barmherzigkeit stellt in besonderer Weise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Kirche und Welt in den Horizont der Begegnung zwischen Gott und Mensch (Fortsetzung folgt).
(mq)
 
 

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