Bayreuth in Zürich: Sängerglück

Zur Wiederaufnahme von Ludwig van Beethovens «Fidelio» – Fassung 2

Gerade hat die Presse – anlässlich der umjubelten Neu-Inszenierung von Glucks «Iphigénie en Tauride» – wieder mal darüber gemutmasst, dass sich der Zürcher Intendant Andreas Homoki in seinen Inszenierungen als eher pessimistischer Skeptiker zeigt und Happy-Ends jeder Art abgeneigt ist. Natürlich gibt es Opern, die enden naturgegeben in Debakel und (mehrfachem) Tod/Mord (so etwa «La forza del destino» und «Wozzeck») oder im grossen Weinen und Wehklagen (so etwa «Das Land des Lächelns»), da kann Herr Homoki nichts dafür. Aber drei seiner Inszenierungen bestätigen die obige Vermutung: die bewusste aktuelle «Iphigénie», sein «Der fliegende Holländer» und «Fidelio». Von der Wiederaufnahme des letzten soll hier berichtet werden.

Ganz egal wie wir zu den holprig-mühsamen Sprechdialogen stehen, auch egal ob wir es Marzelline (eine etwa 17jährige Maid) abnehmen, dass sie sich in die als Mann verkleidete deutlich ältere Leonore verliebt (obwohl Jaquino, jung und spritzig, zur Verfügung steht…): Beethovens «Fidelio» ist ein Zeitzeugnis für den Optimismus, der nach den Ereignissen der Französischen Revolution und vor der bürgerlichen Reaktion ab 1830 die europäischen Eliten ergriffen hatte. Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit, sie schienen menschen-möglich: «Es grüsst der Bruder seine Brüder», so singt der Minister im alles versöhnenden Finale, und die Oper endet im selben Jubel wie die 9.Sinfonie. So ist für mich auch die Wiener Aufführung unter Bernstein – relativ kurz vor der Wende von 1989 – das non plus ultra aller «Fidelio»-Inszenierungen.

Andreas Homoki sieht das nicht so. Anscheinend war für ihn als Ostdeutschen und langjährigen Intendanten der Komischen Oper in Berlin 1989 nicht so eine Erfolgsgeschichte. Seine Leonore rettet ihren eingekerkerten Gatten Florestan nicht vor der Ermordung, sondern wird noch vor ihm vom Tyrannen Pizzaro erschossen und erlebt die eigentliche Handlung der Oper nur als eine Art Utopie. So schliesst sich nach dem Schlussjubel die Homokische schwarze Schuhschachtel wieder über die leblose Sopranistin, und wir werden desillusioniert in den kalten Winterabend entlassen. Die Botschaft lautet: Vergesst Eure Träume, lasst Eure Hoffnungen fahren, die Erdogans, Putins, Bolsonaros und Trumps dieser Erde haben die gewichtigeren – materiellen und militärischen – Argumente. Dass ein Mächtiger als Bruder gleichberechtigt seine Schwestern und Brüder grüsst, ist eher selten.

Zur letzten Aufführung der diesjährigen kurzen Serie am Sonntag, den 9.Februar: Vom Premierenensemble war niemand mehr im Einsatz. Nebst den schon bekannten Umbesetzungen musste Anja Kampe diesen Termin krankheitshalber absagen. So wurde aus München Emma Bell eingeflogen. Normalerweise sind solche Umbesetzungen Grund zu Kummer. Diesmal nicht! Kaum öffnete sich in Homokis eigenwilliger Lesart die Schuhschachtel zum Quartett aus dem zweiten Akt, hörten wir gewaltige Wagner-Stimmen im Ensemble: Bell als Leonore, Andreas Schager als Florestan und Wolfgang Koch als Pizarro. Da war sogar das Zürcher Haus kurzfristig akustisch überfordert. Stimmlich war das eine der besten Zürcher Aufführungen, die ich in den letzten Jahren hörte. Natürlich kann an Homokis Ideen herumkritisiert werden (so ist der Abtransport der Männerschuhe durch den Frauenchor sehr eigenartig…), aber die Sänger/innen liessen sich voll auf seine Lesart ein. Grosser Jubel, einige unberechtigte Buhs gegen Herrn Koch, und Herr Bartoli, sprich Oliver Widmer (Don Fernando), als einzige Schwachstelle. Freude pur! Leider ist die Serie zu Ende.

Heinz Angehrn

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