Was Gemeindemitglieder mit Sozialhilfebezügerinnen teilen

Letzten Freitag am Sozialforum der Caritas in Bern, es geht um «Die Zukunft der Sozialhilfe». Und ein Begriff taucht immer wieder auf: Ermächtigung. Wer Sozialhilfe bezieht, ist heute oft einem detaillierten, manchmal schikanösen, System von Vorschriften und Kontrollen ausgesetzt – und soll ausgerechnet auf diese Weise lernen, selbstverantwortlich zu leben. Dass das nicht oft funktioniert, ist verständlich. Deshalb Ermächtigung (für Wissenschaftliche: Es geht um den capabilities approach von Amartya Sen). Die BezügerInnen selbst entscheiden lassen, mit so viel Unterstützung wie nötig, wie sie ihre Lage verbessern können und worauf sie Prioriäten setzen möchten. Das traut und mutet ihnen allerhand zu, deshalb sind die BeraterInnen dazu da, ihnen beim Entwickeln dieser Selbstständigkeit zu helfen. Nicht mehr dazu, als Autoritäten den BezügerInnen zu erklären, wie sie ihr Leben mit ihren begrenzten Mitteln und Möglichkeiten gestalten sollen.

Und wenn heute nicht die Texte zum Fest Darstellung des Herrn die gewöhnliche Sonntagslesung «geschlagen» haben, gibt es nochmal Paulus (1. Korintherbrief Kap. 1) mit einem recht autoritätskritischen Touch: Nachdem er erstmal festgestellt hat, dass in seiner Gemeinde kaum «Weise, Mächtige, Vornehme» zu finden sind, erklärt er den offensichtlich mehrheitlich wenig Privilegierten, dass Gott das «Törichte, Schwache, Niedrige» erwählt hat – so ungefähr die Klientel heutiger SozialberaterInnen.

Aber auch: Die Menschen, die bis heute die Mehrzahl der Aktiven in Pfarreien und Gemeinden stellen. Nicht unbedingt materiell, aber in der Haltung, die ihnen von kirchlichen Autoritäten immer mal wieder entgegengebracht wird. Da könnte so ein Ermächtigungs-Ansatz einiges verändern. Dann entscheiden Gemeindemitglieder selbst, was ihnen an christlichem Leben wichtig ist, worauf sie nicht verzichten wollen und wo sie ihre begrenzten Mittel und Energien einsetzen möchten. Und wir SeelsorgerInnen wären in erster Linie BeraterInnen, die Menschen bei dieser Ermächtigung unterstützen würden. Da könnte Potential drin stecken.

Karin Reinmüller

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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