«Aber Jesus ist ja schon angekommen.»

(Mein Wort zum 3. Advents-Sonntag für Radio Central)

Ja, man muss ja wohl –– heute, am 3. Adventssonntag etwas über den Advent sagen. Aber: Ist denn nicht schon alles gesagt?

Tatsächlich, wir haben schon tausend Mal gehört, dass «Advent» «Ankunft» bedeutet: die Ankunft vom verheissenen Erlöser. Auf ihn warten wir in diesen rund vier Wochen vor Weihnachten.

Und doch: Der Erlöser, konkreter Jesus Christus ist ja bereits gekommen, vor rund 2000 Jahren. Wie sinnvoll ist es dann noch, Lieder zu singen wie: «Nun komm der Heiden Heiland …»

Ja, sicher, die Geburt des Jesus von Nazareth ist ein geschichtliches Ereignis. Jesus kam damals – wie die Bibel, aber auch der Koran erzählen – im  Heiligen Land  als Kind auf die Welt. Aber: Ist er schon überall angekommen? Ich denke da nicht nur an so genannt heidnische Gegenden, wo die meisten Jesus nicht als Gottes Sohn anerkennen. Wir müssen auch fragen, wie weit ist er bei uns, im viel beschworenen christlichen Abendland, mit seiner Botschaft und ihren Konsequenzen präsent.

Und diese Botschaft können wir mit der Formel «Reich Gottes» umschrieben. Jesus ist gekommen, damit von diesem Reich immer mehr auf unserer Welt erfahrbar wird. Es ist, wie man seit einigen Jahrzehnten betont, das Reich von Frieden und Gerechtigkeit. Ich weiss, das tönt abstrakt, theologisch, lebensfremd.

Aber dieser Eindruck stimmt überhaupt nicht. Einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts, der vor einigen Tagen im  Alter von 91 Jahren verstorbene Johann Baptist Metz, hat schon in den 70er-Jahren den Ausdruck geprägt: «Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber Welthandelspreisen.»

Das heisst doch: Es ist Gott überhaupt nicht gleichgültig, wenn zum Beispiel die Bananen-Arbeiter in Mittelamerika Hunger leiden, wenn ihre Kinder sterben, weil wir zu wenig für ihre Produkt bezahlen.

Ich höre jetzt den Einwand: «Schon wieder redest du über die Dritte Welt.» Ich nehme den Vorwurf ernst und  wandle  das Wort von Johann Baptist Metz ab und sage: «Es ist Gott nicht gleichgültig,  ob unsere Schweizer Bauern von ihrer Arbeit leben können.» Übrigens: Schon vor fast 50 Jahren haben Westschweizer Kapuziner als Bauernseelsorger über die ungerechten Milchpreise gepredigt und sind als Kommunisten angeklagt worden.

Adventliche Installation im Kapuzinerkloster Wesemlin, Luzern  © Walter Ludin

Adventliche Installation im Kapuzinerkloster Wesemlin, Luzern  © Walter Ludin

Nein, liebe Zuhörende, ich bin mit diesen Gedanken nicht abgeschweift. Sie haben durchaus mit dem Advent zu tun. Denn wie gesagt: Jesus ist schon gekommen. Aber immer noch warten Millionen von Menschen darauf, dass auch seine Botschaft ankommt, im globalen Süden wie auch in der Zentralschweiz: die Botschaft, dass Jesus, dass  Gott Gerechtigkeit für alle Menschen wollen.

In diesem Sinne: ein schöner 3. Advent-Sonntag!

Walter Ludin

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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